Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Beste Zum Schluss

Titel: Die Beste Zum Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbæk
Vom Netzwerk:
verhalten wie ein konservativer Investor: Ich habe alles möglichst risikolos angelegt, habe auf Zugewinn verzichtet und war zufrieden mit einem Inflationsausgleich. Ich habe mein Leben verwaltet. Gott, mein Leben war eine Vermeidungsstrategie . Alles, was ich heute habe, ist mir ohne mein Zutun zugeflogen. Die Kinder wohnen bei mir, weil Rene es vorgeschlagen hat. Den Job habe ich, weil Isa ihn mir besorgt hat. Und ich? Was habe ich für mich getan? Was habe ich eingefordert? Was erhoffe ich mir? Wo ist mein verdammter Lottoschein? Was erhoffe ich mir?
    Ich hoffe, die Kinder wachsen gesund und sicher auf. Ich hoffe, Rene wird gesund. Aber nichts davon kann ich garantieren. Kindern kann jederzeit etwas zustoßen, mit dieser Gewissheit muss man leben, das heißt: Man muss sie verdrängen, weil alles andere einen verrückt macht. Dass Renes Krebs nicht streut, kann ich ebenfalls nicht beeinflussen. Alles, was ich tun kann, ist, zu versuchen, die Kinder zu schützen, versuchen, Rene beizustehen – und das werde ich tun. Doch es gibt noch eine Sache, die ich mir erhoffe, aber ich tue nichts dafür. Klar, es ist nun mal schlechtes Timing, wenn man sich in eine Frau verliebt, die am nächsten Tag auswandert, und ja, es ist ebenso blödes Timing, wenn man verreisen will und die wichtigste Person im Leben krank wird – aber wie Rossella sagte: Es gibt keinen perfekten Augenblick. Ich muss einen perfekt machen, aber wie? Hätte Renes Diagnose nicht eine verfluchte Woche später kommen können?
    Im selben Moment durchzucken mich Schuldgefühle, weil ich so etwas denke. Aber die können sich verpissen. Hier hat niemand Schuld.
    Draußen klappen Autotüren. Ich springe auf die Beine und mache mich auf den Weg. Im Flur überholt mich Sulke, der in Richtung Haustür strebt. Er drängelt sich durch meine Beine, als wäre ich gar nicht da, dicht gefolgt von einem kleinen Fellklumpen, Susi. Vor der Tür halten beide an, drehen ihre Köpfe und schauen mich an. Es sieht bescheuert aus. Mir ist danach, mich zu kneifen – aber bloß nicht, nachher wache ich noch auf.
    Als ich die Haustür öffne, sausen die beiden raus in den Garten. Ich lehne mich gegen den Türrahmen und beobachte, wie Rene am Gartentor von Juan abgeknutscht wird wie in einem Teeniefilm. Sie küssen sich, als würde die Welt gleich untergehen, was eine schöne Art ist, einen Kuss anzugehen.
    Sulke läuft hin und schnuppert an ihnen. Sie merken nichts. Also läuft er zu einer Gartenecke und hockt sich auf die Art hin, die jeden Hund der Lächerlichkeit preisgibt. Neben ihm bewegt sich ein Fellhügel durchs Gras. Ich möchte Susi zurufen, dass sie Abstand halten soll, aber das ist eben das Risiko in Beziehungen: Da wird man manchmal eben auch angeschissen.
    Rene drückt Juan einen letzten Kuss auf und will sich lösen, er zieht sie zurück in seine Arme. Ich lasse mir nichts entgehen. Es ist viel zu ungewohnt, meine Mitbewohnerin endlich wieder als Frau statt als Mutter, Freundin oder Dienstleisterin zu sehen. Ob es Übermüdung, eine Nachwirkung der letzten Tage oder vielleicht eine Folge des Schreibens ist, ich denke komische Dinge, wie: Die Welt ist voller Liebe, man muss sie nur annehmen … Es gibt keinen perfekten Augenblick, außer man macht ihn perfekt … Geh wieder ins Haus, bevor die Nachbarn dich für einen Spanner halten …
    Ich gehe schnell wieder rein, klappe den Laptop auf und folge dem gestrigen Link auf die Seite der Fluggesellschaft. Der nächste Flug nach Vancouver geht in sechs Stunden von Frankfurt aus. Zehn Stunden Flugzeit, zwanzig Stunden Aufenthalt, Rückflug über London. Ich hätte genug Zeit, um es Rene zu erklären, nach Köln zu sausen, eine Tasche zu packen, mit der Bahn nach Frankfurt zu fahren, nach Kanada zu fliegen und nach Tofino zu fahren, Eva eine Frage zu stellen und vor der o p wieder zurück zu sein. Könnte eng werden, aber es müsste klappen.
    Mein Finger zögert nur einen Sekundenbruchteil, bevor er den Cursor ins Ziel lenkt. Ich speichere die Flugbestätigung, klappe den Laptop zu und richte mich auf. Mannomann.
    Der Kaffee köchelt bereits auf dem Herd, als draußen ein Auto wegfährt. Rene kommt in die Küche gewankt und lächelt mich zerknittert an. Nie sah jemand durchgenudelter aus. Ihre Augenlider hängen auf Halbmast, ihre Lippen sind vom Küssen aufgequollen und auf ihrer linken Kopfseite stehen ihre Haare ab wie nach einer Elektroschocktherapie.
    »Morgen«, murmelt sie und ersetzt die Zerknitterung durch

Weitere Kostenlose Bücher