Die Beste Zum Schluss
Gesicht.
»Tja, irgendwie tue ich das ja schon.«
Er nickt bedächtig und denkt eine Mauer lang nach, dann holt er zwei neue Flaschen aus dem Kühlschrank. Er öffnet sie, schiebt eine über den Tisch und faltet seine großen Hände, während er mich anschaut.
»Dir ist klar, dass sie in nächster Zeit auf deine Hilfe angewiesen sein wird? Das kostet viel Kraft und viel Zeit.«
»Ich habe mir Urlaub genommen.«
Wenn ihn das beeindruckt, lässt er sich nichts anmerken.
»Als meine Frau damals krank wurde, wollten wir es nur hinter uns haben. Wir dachten, o p , Chemo, und dann wird alles wieder gut. Doch es wurde nicht wieder gut.«
Er nickt mir zu, fragend, ob ich verstehe. Ich nicke ihm zu, dass ich verstehe. Es kommt eine schwere Zeit auf seine Tochter zu, und er will wissen, ob mir klar ist, was das bedeutet, oder ob ich den Schwanz einziehe, wenn es hart auf hart kommt. Ich frage mich, wie ich ihm erklären kann, dass Rene, Lola und Oscar das Wichtigste in meinem Leben sind.
»Junge, nichts für ungut«, brummt er. »Ich glaube dir, dass du ihr beistehen willst, aber du musst wissen, dass es niemanden interessieren wird, wie hart es für dich wird. Als Helfer denkt man, dass die eigenen Probleme Lappalien gegen eine lebensbedrohliche Krankheit sind. Also spricht man nicht mehr darüber – wochenlang, monatelang. Man hält sie unter Verschluss. Man möchte den geliebten Menschen nicht beunruhigen, man möchte seine Lage nicht erschweren. Man sagt sich immer wieder: Ich habe keinen Krebs, also sind meine Probleme ein Witz dagegen. Das geht ein paar Monate so, dann wird irgendwann klar, dass die eigenen Probleme zwar nicht lebensbedrohlich sind, aber es sind Probleme, und sie führen zu weiteren, wenn man sie nicht löst. Man kommt zu der Einsicht, dass man reden muss – aber mit wem?«
»Freunde?«, schlage ich vor.
Er nickt, als hätte er das erwartet.
»Beim ersten Mal hören sie zu und sind mitfühlend, beim dritten Mal auch. Doch beim zwanzigsten Mal sind sie genervt und wollen ihre Ruhe – und deine Frau hat immer noch Krebs. Man fühlt sich alleingelassen und isoliert.«
Vielleicht ist das doch keine Prüfung, sondern ein Versuch, mich zu verscheuchen?
Er trinkt einen Schluck, ich mache es ihm nach. Er setzt die Flasche schwer auf dem Tisch ab und heftet seinen Blick auf etwas hinter mir.
»An manchen Tagen hat man wirklich die Nase voll, und wenn der geliebte Mensch dann fragt, wie es dir geht, dann sagt man nicht: ›Beschissen‹, sondern: ›Alles in Ordnung, Liebes.‹ Krebshelfer zu sein ist, als würde man sich freiwillig für einen Stoßtrupp melden und dann eine Kugel abkriegen. Die Teilnahme war zwar die eigene Entscheidung, aber die Verwundung nicht. Man wird wütend. Es ist ungerecht. Und diese Dinge sollte man dann mit einem neutralen Menschen besprechen. Dafür bezahlt man einen Therapeuten.«
Er war in Therapie? Grundgütiger, was kommt als Nächstes? Ballett?
Er schaut mich an.
»Verstehst du, was ich dir sage, Mads?«
»Ich denke schon«, sage ich überrascht, als er mich zum ersten Mal seit zwanzig Jahren mit Namen anspricht. »Sie möchten sichergehen, dass ich Ihre Tochter nicht im Stich lasse, das verstehe ich sehr gut. Ich weiß, dass viele Männer ihre Frauen verlassen, wenn sie krank werden, aber Sie brauchen sich da keine Sorgen zu machen, ich kann sie nicht alleinlassen, ich liebe sie. Rene und die Kinder sind meine Familie. Ich brauche sie viel mehr als sie mich.«
Er lässt mich nicht aus den Augen. Seine Finger drehen die Flasche, als hätte sie ein Eigenleben. Schließlich nickt er.
»Wieso heiratet ihr dann nicht?«
Was? Gibt es Akustikhalluzinationen, oder hat er mir gerade seine Tochter angeboten? Ich nehme einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
»Meine Tochter braucht in nächster Zeit viel Sicherheit. Für deine rechtliche Situation wäre es auch gut, außerdem spart ihr Steuern.«
Er scheint das ernst zu meinen. Verkuppeln liegt wohl in der Familie. Gleich bietet er mir Landbesitz an.
»Ich werde darüber nachdenken.«
»Tu das, Junge, tu das – und denk an die Kinder.« Es graben sich Falten des Grams in sein Gesicht. »Ihr könnt von Glück sagen, dass ihr euch habt. Jetzt erfahrt ihr, wie viel ihr euch bedeutet.«
Seine Stimme bebt. Er steht auf, nickt mir zu und geht zur Tür. Dort bleibt er stehen.
»Wenn du mit jemandem reden musst, ich bin immer für dich da.«
»Danke.«
»Immer«, betont er noch mal mit tonnenschweren
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