Die Besteigung Des Rum Doodle
als ich Prone die Nachricht vorlas, riss er sich, krank, wie er war, mannhaft zusammen und wirkte zum ersten Mal seit Wochen geradezu lebhaft. Er versicherte mir, dies sei genau die richtige Therapie. Also schickten wir auch ihn nach unten.
Ich gab ihnen ausreichend Zeit, um die Lage zu erörtern, und zog dann die Leine herauf. Nach oben kam eine leere Flasche, am Hals geschmückt mit der Nachricht: »Spundloch frei!«
Im selben Moment drangen seltsame Klänge aus der Gletscherspalte. Zunächst wollte ich meinen Ohren nicht trauen, aber dann wurde ich doch zu dem Schluss gezwungen, dass meine Kameraden sangen. Da ich in britischen Volksliedern leidlich bewandert bin, konnte ich mit einem gewissen Grad an Sicherheit die Musik als »Oh My Darling, Clementine« identifizieren, wenngleich sie, durch Echos vervielfacht, mehr wie eine fugenartige Darbietung von »Clementine« durch einen vollen Chor klang. Das Ergebnis war nicht ohne Reiz, und es freute mich, dass meine Freunde den Mut nicht sinken ließen. Aber falls das Lied nicht als chiffrierte Botschaft zu verstehen war, brachte es mir in meinem Dilemma keine Hilfe. Ich befürchtete, dass meine Kameraden, auch wenn sie gute Miene dazu machten, sich in großer Gefahr befanden.
Dieser Meinung schien auch Constant zu sein. »Sie brauchen mich da unten«, sagte er, und bevor ich recht verstand, was er beabsichtigte, hatte sich der tapfere Kerl mehrere Flaschen in die Taschen geschoben, sein Seil an einem Eiszapfen festgemacht und glitt nun daran außer Sicht.
Die Zeit verging, und das Singen ging weiter. Mehrmals ließ ich die Leine hinunter und zog sie wieder nach oben, aber keine Nachricht kam zum Vorschein. Ich war beinaheverzweifelt. Sechs Menschenleben hingen von meinem klaren Denken und zielgerichteten Handeln ab, und ich stand wie der Ochs vorm Berg. Mein Instinkt sagte mir, selbst in die Gletscherspalte hinabzusteigen, und wenn ich dort mit meinen Kameraden untergehen müsste. Doch wäre damit die Verbindung zur Oberfläche gekappt gewesen.
Die Träger hatten es sich längst auf ihren Packen bequem gemacht und rauchten ihre unvermeidliche Pfeife Stunk. Aus dieser Ecke konnte ich keine Hilfe erwarten.
Dachte ich jedenfalls. Doch sollte ich eine Lektion erteilt bekommen über die unschätzbaren Qualitäten des Yogistani-Trägers, ohne welche die Expedition keinen Erfolg gehabt hätte. Der Bang, dessen Name übrigens Bing lautete, erhob sich mit einem Mal und kam zum Rand der Spalte herüber, wobei er einen kleinen, aber ungeheuer breiten und kräftigen Träger namens Bung mitbrachte. Ohne ein Wort griff sich Bung das eine Ende des Seils und wurde von Bing in die Gletscherspalte hinabgelassen. Kaum hatte sich das Seil entspannt, als von unten ein durchdringender Pfiff ertönte. Augenblicklich begann Bing, das Seil einzuholen, und man mag sich meine Verblüffung vorstellen, als Bung wohlbehalten auftauchte und Burley dabei mit einer mächtigen Faust am Kragen gepackt hielt. Burley schaukelte wie eine Marionette hin und her und sang glückstrunken »Joho, heave ho!«. Er hatte allen Grund dazu.
Es war alles zu simpel. Einer nach dem anderen wurden meine Gefährten nach oben gehievt, und es gab ein herzliches Wiedersehen. Ich schäme mich nicht zu gestehen, dass ich ein paar Tränen verdrückte. Jungle, zweifellos übermannt von der Erleichterung, so knapp mit dem Leben davongekommen zu sein (wenngleich ich gerne annehmen möchte, dass in seiner Stimmung wenigstens zu einem kleinen Teil echte Zuneigung mitschwang), hieb mir derart kräftigauf den Rücken, dass ich zu Boden ging. Wish schien von der schweren Prüfung noch ein wenig verwirrt, denn er hielt es anscheinend für überaus dringend, mich darüber zu informieren, dass er die Tiefe der Gletscherspalte vermessen habe, die sich auf exakt 153 Fuß belaufe. Das erschien ihm aus unerfindlichem Grund unglaublich komisch.
Nachdem alle bis auf Constant wieder wohlbehalten auf der
terra firma
angekommen waren, gingen Bing und Bung zu ihren Kameraden zurück. Offensichtlich hatten sie Constant vergessen oder waren vielleicht nicht imstande, bis sieben zu zählen. Ich ging zu ihnen hinüber und bemühte mich, ihnen durch Zeichen klarzumachen, was sie tun sollten. Man begegnete mir mit unverhohlen bösen Blicken. Ihre begrenzte Intelligenz machte sie offensichtlich unfähig zu begreifen, was ich von ihnen wollte. Ich stellte den Rest der Mannschaft in einer Reihe auf, wobei ich eine Lücke in der Mitte ließ. Dann
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