Die Besteigung Des Rum Doodle
wies ich auf die Lücke und danach auf die Gletscherspalte und ahmte die Bewegungen nach, mit denen ein Seil hinuntergelassen und wieder heraufgezogen und dann ein aus dem Abgrund geretteter Gefährte begrüßt wird. Alle nickten ermunternd mit dem Kopf, ja einige applaudierten sogar, aber keiner rührte sich. Ich spielte die ganze Szene erneut vor; diesmal ignorierten sie mich völlig und pafften ihren Stunk, als wenn alles normal wäre.
Die übrigen Mitglieder der Mannschaft hatten einander inzwischen die Arme um die Schultern gelegt und tänzelten, immer noch in einer Reihe aufgestellt, seitwärts wie eine Truppe Revuetänzerinnen, und dabei sangen sie »Don’t Put Your Daughter on the Stage, Mrs. Worthington«. Die armen Kerle waren nach der schweren Prüfung noch immer ein wenig hysterisch.
Ich war einer ganz und gar nicht mannhaften Panik nahe, als Bing aufstand, zu mir kam, mich in äußerst unangenehmerArt angrinste und den Handteller der einen Hand mit dem Zeigefinger der anderen zu kratzen begann. Er tat dies in der abscheulichsten und zugleich überlegtesten Weise, so als habe die Geste eine geheime Bedeutung.
Es war schrecklich. Einen Augenblick lang glaubte ich wirklich, er wolle mich verzaubern. Man weiß ja nie, was in den Köpfen derartig primitiver Menschen vor sich geht. Schließlich waren wir im geheimnisvollen Orient, wer hätte sagen können, was da nicht geschehen konnte?
Die anderen hörten mit dem Tanzen auf und umringten uns. Ich wandte mich an sie um Rat. Was sollte ich tun?
Es war Burley, der es mir sagte, obgleich ich mir nicht vorstellen kann, woher er es wusste.
»Schmieren, alter Knabe«, sagte er, »schmieren.«
Verblüfft schaute ich ihn an. Was sollte ich schmieren und warum?
Glücklicherweise nahm Burley die Dinge in die Hand. Zu meinem Erstaunen holte er eine Bohee (¾ Pence) hervor und bot sie Bing an. Der schüttelte den Kopf und kratzte eifriger in seinem Handteller. Burley fügte noch eine Bohee hinzu, mit dem gleichen Ergebnis.
Es schien mir gerade so, als feilschten sie über den Preis von irgendetwas. Constant hat mir das Ganze später erklärt. Es scheint, dass die Zahl Sechs dem Yogistani heilig ist. Jede sechste Wiederholung einer Sache wird besonders begangen. Der sechste Tag ist ein Ruhetag. Der sechste Sohn wird für das Priesteramt bestimmt. Die sechste Pfeife Stunk wird zu Ehren des eigenen Großvaters geraucht und so weiter. Es kann jedoch auf das vorgeschriebene Ritual verzichtet werden, sofern den Göttern eine entsprechende Opfergabe dargebracht wird. In diesem Fall waren fünf Leben gerettet, die Götter mithin um die Anwesenheit von fünf Europäern gebracht worden. Sie um einen sechsten zu bringen hätteeinen unverzeihlichen Frevel bedeutet, und nur ein beträchtliches Geldopfer konnte die Angelegenheit wieder ins Lot bringen.
Das Feilschen dauerte eine ganze Weile. Der Bang war offensichtlich ein sehr frommer Mensch, denn er verteidigte mannhaft die Rechte seiner Götter. Die endgültige Summe belief sich auf 1000 Bohee (3 Pfund, 2 Shilling und 6 Pence). Die Zahlung wurde geleistet, und der Bang ging zur Spalte, wobei er Bung mit sich nahm. Dieser Schritt schien jedoch bei den restlichen Trägern, die während des Feilschens gestikuliert und geschrien hatten, gar nicht gut anzukommen. Jetzt rannten sie hinter Bing und Bung her und umringten die beiden. Dann brüllten alle, so laut sie konnten.
Der Streit dauerte einige Minuten. Offensichtlich waren die Träger gegen die Rettung; gewiss wurden ihre abergläubischen Köpfe noch von Zweifeln geplagt, trotz der großzügigen Opfergabe.
Zu unserer großen Erleichterung schien der Bang schließlich die Oberhand zu gewinnen. Der Tumult beruhigte sich bis auf gedämpfte Unmutsbekundungen, und die beiden Retter bahnten sich einen Weg durch die Menge. Im Handumdrehen wurde Constant uns wiedergegeben, dem sein Abenteuer nichts angehabt hatte, abgesehen von einem Schluckauf, der ihn plagte. In diesem Moment wurde mir klar, dass längst die Zeit für die Nachtruhe gekommen war, und ich gab Befehl, das Lager aufzuschlagen. Wieder vereint und glücklich begaben wir uns zu Bett.
In den frühen Morgenstunden erwachte ich mit dem leisen Verdacht, dass die Episode gewisse ungeklärte Aspekte aufwies. Warum zum Beispiel hatte die dramatische Rettung erst stattgefunden, als es zum Weitermarschieren zu spät war? Doch schlug ich mir diesen unwürdigen Gedanken gleich wieder aus dem Kopf und erwähne ihn hier nurals
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