Die Besteigung Des Rum Doodle
dass der echte Skeptiker qua Charakter und nicht aus Überzeugung skeptisch ist. Der intellektuelle Aufputz, mit dem er seinen Skeptizismus bemäntle, sei von ebensolcher Bedeutungslosigkeit wie die Beweise des Gläubigen – ja er sei noch eher geeignet, die nackte Wahrheit zu verschleiern, statt sie zu enthüllen. Da er ferner wisse, dass sein Verstand es ihm ermögliche, alles zu bezweifeln, verschmähe es der Skeptiker, seinen Unglauben zu
erklären
, er
lebe
ihn einfach. Aber auch das, so sagte der Gentleman, ginge noch nicht weit genug. Der wahre Skeptiker weigere sich, an sich selbst und seinen eigenen Skeptizismus zu glauben. Er bewahre sich stattdessen eine Offenheit des Denkens, die sich von völliger Gedankenlosigkeit, und eine Offenheit des Charakters, die sich von völliger Charakterlosigkeit praktisch nicht unterschied. Sein Skeptizismus findet seinen höchsten Ausdruck in der Annahme eines zufälligen Vorurteils, das eine genauso verlässliche Lebensgrundlage abgebe wie die am vernünftigsten begründete Philosophie. Das, so sagte er, sei der ultimative Glaube, weil er den intellektuellen Vorwand verachte: Der wahre Skeptiker besitze einen viel stärkeren Glauben als jeder Gläubige.
Wish verließ das Entropische Eichhörnchen in größter Verwirrung. Er verbrachte eine elende Nacht und erwachte mit quälenden Kopfschmerzen und einer starken Abneigung gegen alkoholische Erfrischungen jeglicher Art sowie gegen zufällige Gespräche mit exzentrischen Fremden.
Diese Abneigung wurde zum Wendepunkt in seinem Leben. Darüber, so sagte er, gab es nichts zu diskutieren. Sinnvoll oder unsinnig, für ihn jedenfalls war es völlig überzeugend. Es war eine Erleuchtung. Da er nun einmal mit Abneigungen und Vorurteilen leben musste, so seine Überlegung, konnte er sich ebenso gut diejenigen aussuchen, die ihm am besten passten. Er begann sich umzuschauen und untersuchte sorgfältig jedes Vorurteil, das ihm begegnete, wie abgetragen oder ramponiert es auch erscheinen mochte. Er untersuchte Tausende, läppische und bequeme, harte und schmerzhafte, große und kleine, persönliche, nationale, harmlose, tödliche, antiquierte, moderne, wissenschaftlich begründete und solche aus Aberglauben, plebejische, aristokratische, praktische, nutzlose, orthodoxe, ketzerische – Vorurteile und Abneigungen in Hülle und Fülle. Er habe sich, so sagte er, gefühlt wie ein Forscher, der eine Schatzkiste voll kostbarer und schöner Edelsteine entdeckt hat.
Er nahm sich hier und dort etwas heraus, wohlüberlegt, und ließ sich Zeit dabei. Er suchte sich einen kompletten Satz Vorurteile und Abneigungen aus, die ein Leben lang halten und ihn befähigen würden, mit jeder Situation fertig zu werden. Er wählte seine berufliche Laufbahn. Er trat in eine politische Partei ein.
Der Stolz seiner Sammlung war sein alter Herzenswunsch: die Sehnsucht nach einer Braut. Ein Vorurteil hatte ihm wiedergegeben, was der Verstand verworfen hatte. Glücklich und voller Ehrfurcht, ja mit dem Gefühl, ein Wunder vollbrachtzu haben, setzte er dieses Sehnen wieder an seinem alten Platz ein.
Es passte nicht.
Er wendete es hin und her. Er untersuchte es auf Verschleiß. Er ging mit sich zu Rate und las lange Passagen in Lehrbüchern. Er belog sich selbst. Er nahm Ratschläge von jedem an, der ihm sagte, was er gerne hören wollte.
Alles vergebens!
Wish sagte, er frage sich, ob ich seine Gefühle nachempfinden könne. Er habe sich, sagte er, über jeden vernünftigen Zweifel hinaus überzeugt, dass die geläufige Ansicht die richtige sei. Er könne es mit jeder verstandesmäßigen Prüfungsmethode beweisen. Darüber hinaus
wolle
er auch daran glauben. In gewissem Sinne glaube er
tatsächlich
daran, aber nicht ganz. Immer gab es bei ihm im Hinterkopf einen Vorbehalt. Im Laufe der Zeit hatte der sich dann zu der Überzeugung ausgewachsen, das Ganze sei eine Verschwörung, um ihn zu täuschen – eine riesige Verschwörung, an der die Autoren von Büchern und sogar Wishs Freunde beteiligt waren.
Er fragte mich, ob ich ihn für überspannt halte. Ich sagte ihm, im Gegenteil, für mich sei das alles äußerst interessant, da ich ein seiner Erfahrung sehr ähnliches Erlebnis gehabt hätte, wenn auch vielleicht weniger intensiv.
Es hatte sich auf dem Weg nach Schottland zugetragen, wo ich mich einigen Freunden für eine Bergtour anschließen wollte. Nach der Hälfte der Strecke auf der Great North Road – ich reiste per Fahrrad – begann ich zu
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