Die Besteigung Des Rum Doodle
melancholische Erfahrungen gemacht hatten. Wie wenig weiß man von den Geheimnissen, die im Herzen eines Menschen verschlossen sind! Wie selten errät man, dass sich hinter einem fröhlichen Lächeln ein gebrochenes Herz verbirgt! Meine Erfahrung, so beschloss ich, sollte mir eine unvergessliche Lehre sein: Wir alle sind Brüder im Leid. Außerdem beschloss ich, nie wieder einen Menschen nach seinem Äußeren zu beurteilen, so undurchdringlich oder abweisend es auch sein mochte.
In diesem Moment trat Pong mit meinem Frühstück ein. Als ich sein undurchdringliches Äußeres betrachtete, wurde mir klar, dass auch er trotz allem nur ein menschliches Wesen war. Wer konnte wissen, welche Qualen und welche Einsamkeit hinter seinem platten und abweisenden Äußeren verborgen waren? Darüber dachte ich nach, während ich an meinem Frühstück litt. Waren wir vielleicht unfreundlich zu Pong gewesen? Der arme Kerl, er war der Paria der Expedition. Niemand schien ihn zu mögen. War er vielleichtunerträglich einsam? Sehnte er sich nach einem freundlichen Wort oder einem Lächeln?
Es war beinahe allzu traurig, überhaupt daran zu denken. Ich schob mein Frühstück beiseite und ging zu Pongs Zelt. Ich kam gerade dazu, wie er mit einer Feile eine Gabel in eine Schüssel raspelte. Er kümmerte sich nicht um mich. Nach einer Weile legte er die Gabel beiseite und fing an, einen Stein zu hobeln. Ich hielt es für besser, dass er sich zunächst an meine Anwesenheit gewöhnte, bevor ich versuchte, mich mit ihm zu unterhalten. Ich setzte mich deshalb hin und sah ihm zu. Er zerschnitt ein Stück eines alten Bergsteigerseils und drehte eine alte Socke durch den Fleischwolf, um dann alles in eine Pfanne mit Dörrfleisch zu werfen, fünf Minuten umzurühren und mit Sand und Paraffin abzuschmecken. Schließlich seihte er die Masse durch, schmierte sich eine Portion auf ein Stück Leder und biss herzhaft zu.
Das, so dachte ich, war meine Gelegenheit. Ich machte mich durch ein Hüsteln bemerkbar und wies auf das Leder und auf meinen Mund.
Anfangs schien er mich nicht zu verstehen. Ich wiederholte die Geste, machte Kaubewegungen, lächelte und rieb meinen Magen. Langsam streckte er die Hand aus, als ob er noch immer nicht sicher sei, was ich denn wolle. Ich nahm ihm das Leder aus der Hand, biss ein kleines Stück ab und gab es an ihn zurück.
Schweigend kauten wir. Ich gab der Situation einige Minuten Zeit, sich zu konsolidieren, dann hustete ich erneut. Zu meiner großen Freude hustete Pong auch! Ich drehte eine seiner Pfannen um und malte mit einer Gabelzinke auf dem schmutzigen Boden die Skizze einer yogistanischen Braut. Ich zeigte auf Pong, dann auf die Zeichnung und hob meine Augenbrauen.
Er schien mich nicht zu verstehen. Ich hob weiterhinmeine Brauen, und plötzlich tat er das Gleiche. Er kam meinem Gesicht mit dem seinen ganz nahe und hob seine Augenbrauen im Takt mit meinen.
Ich machte unbeirrt weiter, und so setzten wir das Spiel einige Zeit fort. Ich wollte nicht aufhören, weil ich fürchtete, sonst seine Gefühle zu verletzen.
Dann geschah etwas Seltsames mit seinem Gesicht. Es war ganz unbeschreiblich und ähnelte nichts, was ich je zuvor gesehen hatte oder mir hätte vorstellen können. Ich starrte ihn fasziniert an. Was konnte es sein?
Plötzlich wusste ich es. Es war ein Lächeln!
Freimütig bekenne ich, dass ich gerührt war. Es erschien mir beinahe wie ein Wunder, dass sich Pongs abweisendes Äußeres in ein Lächeln verwandelt hatte. Welche ungeahnten Gefühle konnten die Ursache dafür sein? Ich setzte alles daran, das herauszufinden.
Ich werde den geneigten Leser nicht mit einer Beschreibung der Schritte langweilen, mit denen Pong und ich unsere Zeichensprache entwickelten und uns schließlich zu verständigen vermochten. So etwas mag unmöglich erscheinen, aber wie ich schon oft zu bemerken Gelegenheit hatte: Ein guter Wille ist der beste Dolmetscher.
Ich erzählte ihm von meiner Familie und beschrieb mein Zuhause. Voller Wärme sprach ich von unseren englischen Kochmethoden und gab ihm ein oder zwei Rezepte. Als Gegengabe zeigte er mir, wie man Gummi brät, und erzählte mir, er sei Absolvent der Universität von Yogistan, an der er zum Doktor der Kochkunst promoviert worden war. Schließlich brachte ich ihn nach einigen Stunden beharrlichen Insistierens – er hatte die Neigung, von Nebensächlichem zu plaudern – dazu, mir von seiner Braut zu erzählen.
Er hatte nie eine Braut gewollt. Er habe, so
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