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Die Besteigung Des Rum Doodle

Die Besteigung Des Rum Doodle

Titel: Die Besteigung Des Rum Doodle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. E. Bowman
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sagte er, ein künstlerisches Temperament, das sich seiner Meinung nachnicht mit den Gefühlen und dem Benehmen vertrage, wie man sie von einem Bräutigam erwarten dürfe. Ich möge verstehen, dass er nichts gegen das andere Geschlecht habe, ganz im Gegenteil, doch seine Künstlerseele rebelliere gegen die mit einer offiziellen Verlobung einhergehende geregelte Lebensweise. Unglücklicherweise ist es yogistanischer Brauch, dass Kinder bereits im zarten Alter durch eine Vereinbarung zwischen den Eltern verlobt werden. So war auch Pong verlobt worden, lange bevor sich sein künstlerisches Temperament entwickelt hatte, und als das schließlich geschah, war er sogleich mit der Gesellschaft, mit seiner Familie und seiner Braut in Konflikt geraten. Pong hatte immer einen Horror vor Konflikten gehabt, seine sensible Seele war für die feinsten Nuancen im gesellschaftlichen Umgang empfindlich. Als er nun feststellen musste, dass er sich anscheinend in einem permanenten und unlösbaren Konflikt mit seinen Mitmenschen im Allgemeinen und mit den ihm am nächsten stehenden im Besonderen befand, geriet er in eine seelische Krise. Wie er die Sache sah, musste er sich ein für alle Mal zwischen seiner Kunst und seinem Herzen entscheiden: Er konnte entweder Künstler oder Liebhaber sein, aber nicht beides. Der Konflikt war fürchterlich. Pong sagte mir, niemand könne sich im Entferntesten vorstellen, was er durchlitten habe. Bis dahin war er gewillt gewesen, seine Braut anzunehmen, denn er war seiner Familie und seinen Freunden aufrichtig zugetan. Nun aber verspürte er den tiefen und unbezwingbaren Drang, alles aufzugeben und dem einsamen Weg seiner Berufung zu folgen.
    Monate verbrachte er in qualvoller Unentschlossenheit. Es schien ihm, als würde seine Seele entzweigerissen. Dann geschah eines Tages etwas, das ihn zur Entscheidung zwang. Wie üblich verbrachte er den Samstagnachmittag im Hause seiner Braut, die bei solchen Gelegenheiten ihrer Gewohnheitentsprechend eine besondere Köstlichkeit für ihren Liebsten zubereitete. Er setzte sich zu Tisch, nahm die Essstäbchen fest in die rechte Hand, stützte die Linke in die Hüfte und setzte eine Miene erwartungsvoller Vorfreude auf. Stolz trat die Dame seines Herzens ein und stellte ein Gericht vor ihn hin.
    Im nächsten Augenblick stieß Pong einen Schrei des Entsetzens aus und fegte die Schüssel vom Tisch. Das arme Mädchen legte eine Hand auf seinen Arm, doch er stieß sie zur Seite und rannte aus dem Haus.
    Den ganzen Tag und die ganze Nacht lang wanderte er kreuz und quer durch die Berge. Am nächsten Morgen kam er als gewandelter und nunmehr seiner Aufgabe geweihter Mann zurück. Von jenem Tag an hatte er sich nur seiner Kunst gewidmet. Seine Verlobte, seine Familie und seine Freunde verließen ihn. Er machte keine Kompromisse, und niemand liebte ihn genug, um ihn zu verstehen und mit dem zweiten Platz in seiner Zuneigung vorlieb zu nehmen. Er wurde zum Ausgestoßenen, nicht aus freiem Willen und nicht mutwillig, denn er war ein geselliger Kerl, sondern weil ein Künstler allein auf menschenleeren Höhen wandeln muss.
    In dem Maß, wie sein Können zunahm und sein Verständnis sich schärfte, wuchs sein Wunsch nach einem Gefährten, bis er schier unerträglich wurde. Nur erwies sich gerade die Heftigkeit seines Verlangens als weitere Barriere zwischen ihm und seinen Mitmenschen. Denn wann immer er dieses Verlangen einem potenziellen Freund offenbarte, war der vor dessen Intensität erschreckt zurückgewichen. So wurde er immer einsamer.
    Schließlich gab er alle Bemühungen auf, seine Mitmenschen zu erreichen. Er zog sich ganz in seine innere Welt zurück und ließ der Intensität seiner Gefühle in seiner Kunst freien Lauf. Nachdem er den Doktorhut erworbenhatte, führte er eigene Experimente durch und gründete eine Kochschule, die von den radikalen Köpfen im ganzen Land als Verkörperung des Zeitgeists gefeiert wurde. Er wurde allgemein geachtet und geehrt, aber nie geliebt.
    Und nun, so sagte er, sei sein Lebenswerk vollendet. Nie werde er noch höher steigen, als er gestiegen war. Der Rest würde lediglich Wiederholung sein. Jüngere Männer müssten auf seinen Schultern stehen. Ihm blieb die Dankbarkeit dafür, dass ihn das Leben zu gebrauchen gewusst hatte, die Entschlossenheit, mit Würde zu altern, und – tief eingewurzelt und unausrottbar wie eh und je – die menschliche Hoffnung, doch noch einmal die Zuneigung eines Gleichgesinnten zu gewinnen.
    *
    Das

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