Die Besteigung Des Rum Doodle
vornüber. Das in Verbindung mit der Beobachtung, dass ich kaum noch den Wunsch verspürte, nach Warpeln zu suchen, ließ mich vermuten, dass meine Kräfte schwanden. Ich bemerkte, dass meine Gedanken sich entweder auf Höhe meines Magens oder des nächsten Schrittes bewegten, je nachdem, was gerade niedriger war. Ich war dabei, die Kontrolle über mein Schicksal und über die Expedition zu verlieren.
Das durfte nicht geschehen. Wenn der Anführer aufgibt, fällt die Mannschaft auseinander. Wer konnte wissen, welche Kämpfe sich weiter unten abspielten? Sollte ich derjenige sein, der die Mannschaft im Stich ließ?
Nein, sagte ich mir, ich werde nicht versagen. Ich sagte mir, es sei an der Zeit, mich nicht länger zu bemitleiden. Ich hatte mir selbst gesagt, dass ich mich elend fühle, und da ich von Natur aus ein wahrheitsliebender Mensch bin, hatte ichmir selbst geglaubt. Dagegen gab es ein einfaches Mittel: Ich musste mir etwas Aufmunterndes erzählen.
Ich sagte mir, dass meine Knie fest seien und meine Füße geradeaus wiesen. Ich sagte mir, dass ich mit jedem Schritt an Kraft gewänne. Ich sagte mir, dass meine Magenschmerzen kaum der Rede wert seien. Ich sagte mir, dass ich ganz versessen darauf sei, Warpel zu finden.
Den ganzen Tag redete ich so mit mir selbst. Ich war im Begriff, mich selbst zu überzeugen, als ich irgendwann am späten Nachmittag den Eindruck hatte, dass meine Augen schwächer zu werden begannen – einsetzende Schneeblindheit, vermutete ich. Ich sagte mir, dass dies alles Einbildung sei. Ich strengte mich an, mich selbst zu überzeugen, dass es meinen Augen immer besser gehe. Als wir Lager 4 erreichten, stellte ich jedoch fest, dass meine Schneebrille mit Eis bedeckt war.
Im Lager traf ich Wish an. Er referierte mir eine lange und interessante Liste der wissenschaftlichen Apparate, die ihm während des Aufstiegs am Vortag als Halluzinationen erschienen waren. Er hielt mich damit in Atem, alles genau mitzuschreiben. Ich würde die Liste hier wiedergeben, doch dürfte sie kaum von allgemeinem Interesse sein; sie liest sich eher wie ein Warensortiment.
Ich sagte Wish, dass ich beabsichtigte, zum Akklimatisieren einen Tag in Lager 4 zu bleiben und dann schnell weiter hinaufzusteigen, bevor mich meine Kräfte verließen. Ich sagte, ich hoffe, er werde mich begleiten.
Wish sagte, genau das sei auch seine Absicht gewesen. Unglücklicherweise habe sich sein Gesundheitszustand in Lager 4 aber verschlechtert, und er müsse absteigen, um wieder zu Kräften zu kommen. Er fügte hinzu, das würde es ihm wahrscheinlich auch ermöglichen, von Lager 3 aus Nachrichten zwischen mir im Lager 4 und den anderen weiterunten am Berg zu übermitteln. Kontakt mit den anderen herzustellen, so sagte er, sei unerlässlich und sein Vorschlag der einzige praktikable Weg, um das zu erreichen.
Ich hoffe, man wird es mir nicht als unangemessene Nachsicht mit mir selbst ankreiden, wenn ich meine vorübergehende Verärgerung über Wishs logische Schlussfolgerung einzig und allein den Auswirkungen der großen Höhe zuschreibe. Ich erkannte die Wahrheit dessen an, was er sagte, aber es schien mir, als hätten sich die Wahrheit und Wish gegen mich verschworen. Das war undankbar von mir, zumal Wish in einer ähnlichen Situation in Lager 3 voller Mitgefühl gewesen war.
Nach einer kargen Mahlzeit aus Linsen und Dörrfleisch war ich hinreichend wiederhergestellt, um mich innerlich bei Wish zu entschuldigen. Das brachte mich in die Stimmung für ein gutes Gespräch, und da Wish es als Wissenschaftler gewohnt war, mit der Wahrheit umzugehen, konnte ich nichts Verwerfliches darin sehen, offen mein Interesse an den Familienverhältnissen der Mannschaft zu bekennen und ihn zu fragen, ob er selbst eine Braut habe. Er erwiderte, das sei eine interessante Frage. Ich bejahte das, und dann schwiegen wir. Nach einer Weile erinnerte ich ihn daran, dass er meine Frage nicht beantwortet habe, und sagte, er sei hoffentlich nicht durch das Gesagte gekränkt worden. Nein, im Gegenteil, entgegnete er, mein Interesse habe ihn angerührt. Tatsächlich sei ihm das auch nicht ganz klar. Ich sagte, es würde mich sehr glücklich machen, wenn er sich mir anvertraute. Daraufhin erzählte er mir seine Geschichte, wenn auch langsam und stockend. Der arme Kerl war so bewegt, dass ihm das Sprechen nicht leichtfiel.
Er habe sich, so sagte er, stets eine Braut gewünscht. Selbst als Kind sei das sein Herzenswunsch gewesen. Immer hatte er den
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