Die besten Freunde meines Lebens - Roman
Sie liebte es, hier zu sein. Wenn sie gemächlich ihre Pflanzen stutzte oder Unkraut zupfte, konnte sie für eine Weile alles vergessen: die Situation ihrer Mutter, die vierzig Meilen entfernt nur noch von Apparaten am Leben gehalten wurde, die unangenehmen Telefonate mit ihrer Schwester, denen jedes Mal wütende dreiseitige E-Mails folgten, die langen schlaflosen Nächte, in denen sie in der Dunkelheit neben dem schlafenden Gerry lag.
Ihre Schwester hielt viel von Gerry. Auch ihre Mutter war von seinen teuren Anzügen, seinem schicken Wagen und seinen guten Manieren beeindruckt gewesen. Am Tag ihrer Hochzeit mit Gerry war ihre Mutter überglücklich und unglaublich stolz. Erst später erfuhr Lizzie, dass ihre Mutter und Karen gefürchtet hatten, Gerry könnte einen Rückzieher machen. Dass Lizzie den Heiratsantrag annehmen würde, hatte für beide nie in Zweifel gestanden.
Und rückblickend betrachtet stimmte das auch.
Gerry sagte, er liebe sie; ihre Mutter und ihre Schwester mochten ihn. Das allein hätte Lizzie schon genügt. Selbst wenn sie von seinem Selbstbewusstsein und seinen Ambitionen nicht derart überwältigt gewesen wäre. O Gott, dachte Lizzie nun, was sagt das über dich als Mensch aus?
»Kaffee?«, ertönte hinter ihr Davids Stimme. »Oder kann ich dich zu etwas Stärkerem verlocken?«
Lizzie schreckte aus ihren Gedanken auf und wirbelte herum. Sie lächelte verlegen. »Hallo, David. Entschuldige, dass ich mich einfach hereingeschlichen habe. Ich wollte nicht bei eurem Badevergnügen stören.«
»Du hast dich nicht hereingeschlichen. Ich hatte dich ja erwartet. Du hast angerufen, schon vergessen? Wein? Ich habe eine offene Flasche Rosé im Kühlschrank.«
Lizzie zögerte. »Ich weiß nicht. Morgen ist Schule. Ich kann nicht lange bleiben. Eigentlich müsste ich zu meiner Mutter, aber ich habe heute einfach geschwänzt.«
»Als Schwänzen würde ich das nicht bezeichnen. Du bist drei Wochen lang jeden Tag dort gewesen. Wenn du dir mal einen freien Tag nimmst, wird das niemanden umbringen.« Er hielt inne. »Entschuldige, das war taktlos.«
»Ach was. Du hast ja recht. Und ein Glas Rosé kann auch nicht schaden.«
»Super, ich hole dir eines.«
Fünf Minuten später kehrte David mit einer Flasche Rosé, zwei Gläsern und einem leeren Blumentopf zurück. Stirnrunzelnd musterte Lizzie die Flasche. »Sagtest du nicht, du hättest schon eine Flasche geöffnet?«
Er grinste. »Wird gleich geschehen. Ich habe nur einen Vorwand gesucht. Danke, dass du mir einen geboten hast.«
Lächelnd schüttelte Lizzie den Kopf. »Ganz schön raffiniert«, sagte sie, während er den Blumentopf umdrehte, die beiden Gläser darauf stellte und einschenkte.
»Was dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?«
»Ganz und gar nicht«, erwiderte sie. »Wenn du nichts Besseres zu tun hast, als mir beim Unkrautrupfen zuzusehen.«
In diesem Garten zu sein schenkte ihr Ruhe, gewährte ihr Zuflucht vor ihren Sorgen und Ängsten. Hier konnte sie fühlen, hören, tasten, riechen und brauchte nicht zu den ken. Und das gefiel ihr ungemein. Genauso wie der Wind in den Bäumen, das leise Gurren der Tauben, die sich zum Schlafen bereit machten, das Rascheln der Nachttiere, die mit dem scheidenden Licht am Ende des Gartens erwachten, das entfernte Brummen eines Flugzeugs, die abendlichen Laute aus den benachbarten Häusern.
Nahm sie das Leben auch in ihrem eigenen Garten so intensiv wahr?
Sie kannte die Antwort darauf.
Die Dämmerung brach herein. Obwohl Lizzie nur Jeans und ein T-Shirt trug, dessen lange Ärmel sie hochgekrempelt hatte, fror sie nicht. Die letzten Wochen waren ungewöhnlich warm gewesen, im September so heiß wie sonst nur im August, und jetzt im Oktober war es nach wie vor sehr mild. Allerdings hatte sie von dem schönen Wetter nicht viel mitbekommen, außer durch die Windschutzscheibe ihres Wagens.
»Wie geht es dir?«, fragte David, nachdem er einige Minuten schweigend im Abendlicht gesessen, Lizzie beim Unkrautrupfen zugesehen und hin und wieder an seinem Wein genippt hatte.
»Ganz gut soweit«, sagte sie. »Entschuldige, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe.«
»Ach, lass mal. Du hast genügend Sorgen mit deiner Mutter.«
Wann immer jemand ihre Mutter erwähnte, schossen Lizzie die Tränen in die Augen, doch richtig weinen konnte sie nicht. Normalerweise war sie eine richtige Heulsuse, sie verstand selbst nicht, was mit ihr los war.
»Wie wird es weitergehen?«, fragte David.
»Keine Ahnung.
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