Die besten Freunde meines Lebens - Roman
nicht, dass sie wieder aufwacht. Ich war in den letzten zwei Stunden im Pflegeheim. Nein, noch länger. Ist diese Erklärung gut genug für dich?«
Schweigen. Toll gemacht, Lizzie, dachte sie. Wirklich klasse. Aber wenigstens hörte er ihr jetzt zu.
»Gerry«, fuhr sie nun etwas ruhiger fort, »verstehst du das denn nicht, Schatz? Mum ist nicht nur krank, sie stirbt. Es tut mir leid, dass ich dich nicht angerufen habe, ich weiß, das hätte ich tun sollen, aber ich musste auf der Station mein Handy abschalten. Es geht hier nicht um dich oder mich oder darum, dass ich dich versetzt habe. Es geht um Mum. Du hättest die anderen anrufen können. Sie hätten es dir erzählt.«
»Sie wussten Bescheid?«, rief Gerry empört. »Lass mich das noch mal zusammenfassen. Deine Mutter liegt im Sterben, und du hast deine Freunde angerufen, aber mich nicht?«
»Nein«, schrie Lizzie. »Ich habe niemanden angerufen. Ich habe es dir doch gesagt, mein Handy war ausgeschaltet, und ich war völlig neben der Spur. Als der Anruf kam, war ich gerade im Garten und habe David nur kurz zugerufen, dass etwas mit meiner Mum ist, ehe ich mich auf den Weg ins Heim gemacht habe. Wenn du ihn angerufen hättest …«
»David?« In Gerrys Ton schwang eine Mischung aus Verletztheit und Zorn.
»Ja, David. Du wusstest ja, dass ich in den Garten gehen wollte und … Gerry? Gerry! «
Fassungslos starrte Lizzie auf ihr Handy, hielt es immer wieder kopfschüttelnd ans Ohr. Als klar war, dass die einzige Person in der Leitung sie selbst war, drückte Lizzie auf die Aus-Taste und betrachtete dann ihr Spiegelbild in dem verkratzten Display. Die Frau, die ihr entgegenblickte, war vertraut und fremd zugleich.
Die Mutter dieser Frau lag im Koma, eine eingefallene, reglose Gestalt in einem Zimmer voller Apparate. Die Schwester dieser Frau brüllte aus dreitausend Kilometern Entfernung Beschimpfungen auf ihre Mailbox. Und der Ehemann dieser Frau legte einfach auf.
Doch die Frau war sich nicht sicher, ob sie das überhaupt berührte.
40. Kapitel
Die Chrysanthemen glichen einem Flammenmeer, so als würde sich darin die untergehende Herbstsonne spiegeln. Wie geschickt von Nicci, dachte Lizzie, den Garten so anzulegen, dass er das ganze Jahr über blühte. Warum war ihr das vorher nie aufgefallen? Wenn sie früher aus dem Küchenfenster geblickt hatte, während sie Gemüse schnippelte oder eine neue Flasche Wein entkorkte, hatte sie den schönen Garten immer als selbstverständlich angesehen. Inzwischen wusste sie, wie viel Mühe darin steckte.
Es war nun drei Wochen her, seit sie zuletzt hier gewesen war. Drei endlose Wochen, in denen sie jeden Abend nach Croydon gefahren war, um am Bett einer Frau zu sitzen, die nicht einmal wusste, dass Lizzie da war.
Die, wie Lizzie zunehmend überzeugt war, gar nichts von dem wahrnahm, was um sie herum passierte.
Beim ersten Mal hatte Gerry sie begleitet; ihr sogar angeboten zu fahren. Seine Art, sich zu entschuldigen, vermutete Lizzie. Es war das einzige Mal gewesen. Offenbar war er der Meinung, er habe damit seiner Pflicht Genüge getan. Lizzie nahm es ihm nicht übel. Im Grunde war es ihr lieber, allein nach Croydon zu fahren, um in Ruhe über alles nachdenken zu können.
Der Garten hatte sich in diesen drei Wochen verändert. Nicci hatte immer gesagt, der Garten habe ein Eigenleben, und jetzt verstand Lizzie, was sie gemeint hatte. Innerhalb einer so kurzen Zeitspanne war sie wieder eine Fremde geworden.
Nach einigen Monaten intensiver Arbeit hatte der Garten eine Art von Gefühl für sie entwickelt, so als würde er sie kennen, auf sie warten. Sich auf ihre Besuche freuen. Natürlich war es albern anzunehmen, Pflanzen hätten Gefühle. Vielleicht waren es eher Sinneswahrnehmungen. Doch als sie begonnen hatte, sich um den Garten zu kümmern, war es ihr vorgekommen, als wüsste er, dass sie nicht Nicci war.
Was fantasierst du dir da nur zusammen?, dachte Lizzie, während sie die nicht zugesperrte Gartentür aufschob und den Schuppenschlüssel vom Haken nahm, wo David ihn für sie hinterlegt hatte. Von oben hörte sie das Geräusch von spritzendem Wasser, Charlies und Harries Gekreische, das tiefe Timbre von Davids Stimme und danach noch lauteres Gekreische. Es klang nach Badespaß. Nach Familie.
Mit raschen Schritten ging Lizzie zum Schuppen, schloss ihn auf und warf ihren Mantel über den alten Ledersessel. Mit Gartenschere und Spaten ausgerüstet, ging sie nach draußen, um sich an die Arbeit zu machen.
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