Die besten Freunde meines Lebens - Roman
Reaktion, nur das leise Murmeln.
»Hallo, Mum«, sagte Lizzie. »Ich bin’s.«
Janet und Lizzie wechselten einen Blick. Lizzie wusste, worum Janet sie bat, und schüttelte den Kopf. Es war schlimm genug, dass ihre Mutter sie für Tante Kathleen hielt. Man musste sie nicht auch noch darin bestärken, indem man vorgab, jemand zu sein, der schon lange tot war.
Lizzie zog einen gepolsterten Schemel zum Sessel ihrer Mutter, setzte sich an den Rand und bedeutete Janet mit einem Nicken, dass sie nun allein zurechtkäme.
»Wie fühlst du dich, Mum?«, fragte Lizzie im Plauderton, als Janet die Tür hinter sich zuzog, aber einen Spaltbreit offen ließ. »Du siehst gut aus. Dieses Kleid hat mir immer gut an dir gefallen. Blau steht dir.«
Zum ersten Mal flackerte der Blick ihrer Mutter in ihre Richtung, dann gleich wieder weg. Ihr Mund bewegte sich unaufhörlich, das Murmeln ebbte nie ab. Die meiste Zeit über war der Blick ihrer Mutter völlig leer, so als hätte die Essenz ihres Seins den Laden dichtgemacht und sich woanders hinbegeben. Im Moment konnte Lizzie erkennen, dass sie anwesend war. Oder jemand in ihr anwesend war. Plötzlich hörte das Murmeln auf, und ihre Mutter sah sie starr an.
In der wilden Hoffnung, dies sei ein gutes Zeichen und der geistige Verfall nur ein kleiner Ausrutscher, ergriff Lizzie die Hand ihrer Mutter und drückte sie leicht. »Es freut mich so, dass du etwas besser aussiehst.«
Ihre Mutter nahm ihre Hand weder weg, noch erwiderte sie Lizzies Druck. Schlaff und kalt lag ihre Hand in der von Lizzie. Als ihre Mutter zu sprechen begann, musste Lizzie sich vorbeugen, um sie zu verstehen.
»Kein Wunder, dass du dieses Kleid magst, Kathleen«, sagte sie. »Du hast auch so eines, erinnerst du dich? Wir haben es nach einem Schnittmuster genäht, das Mutter aus dem Co-op mitgebracht hat. Sag bloß, du hast das vergessen.«
Augenblicklich wusste Lizzie, worauf ihre Mutter anspielte.
Als sie ein Kind war, hatte auf der Kommode ein Foto ge standen. Betty und Kathleen im Teenageralter, Arm in Arm in die Kamera strahlend. Die Mädchen trugen identische Hemdblusenkleider, nach demselben Vogue-Schnittmuster genäht; das von Betty kornblumenblau, das von Kathleen schlüsselblumengelb. Zumindest hatte ihre Mutter ihr das so erzählt. Das Foto war schwarz-weiß und begann bereits damals schon zu verblassen.
Lizzies erstes Gefühl, wenn sie The Cedars verließ, war immer Erleichterung. Normalerweise hielt diese Erleichterung an, bis sie aus dem Parkplatz gefahren war. Danach kamen zunehmend Schuldgefühle, gefolgt von tiefer Verzweiflung. Manchmal überfiel sie diese Verzweiflung erst, wenn sie wie der zu Hause war und sich einen Drink einschenkte. Diesmal wurde sie davon übermannt, sobald das von Koniferen gesäumte Grundstück des Heims hinter ihr lag. Als sie auf die vierspurige Schnellstraße abbog, verschleierten ihr Tränen den Blick auf die vor ihr fahrenden Autos. Ohne zu blinken, riss sie den Wagen nach links auf den Standstreifen, bremste scharf ab und schaltete auf Leerlauf, ehe sie über dem Lenkrad zusammensackte.
Sobald sie zu weinen begonnen hatte, brachen die Schluchzer hart und schnell aus ihr hervor, begleitet von tiefen keuchenden Atemzügen, die sie an die Grenze zum Hyperventilieren brachten. Sie weinte um Mum, um das Mädchen, das ihre Mum einst gewesen war; um das Mädchen im kornblumenblauen Hemdblusenkleid, voller Hoffnung und Erwartung auf das, was das Leben für sie bereithielt. Sie weinte um die strenge Mutter, die sie gewesen war; scharf im Ton, unversöhnlich, aber beschützend. Eine Frau, deren Empfinden dafür, was sich gehörte, einen schweren Dämpfer erlitten hätte, wenn sie sähe, was nun aus ihr geworden war.
Und dann weinte sie um sich selbst, denn so erwachsen sie auch sein mochte, mit ihrem Haus, ihrem Job und ihrem Ehemann, dafür würde sie nie erwachsen genug sein.
25. Kapitel
Beinahe wäre David nicht ans Telefon gegangen. Als es klingelte, befand er sich im Garten und mühte sich mit dem Rasenmäher ab. Zum wiederholten Mal zog er den Anlasser: nichts. Kein Benzin. Niccis Stimme hallte in seinem Kopf. Das Benzin ist ständig aus . Es war ihm unbegreiflich, warum sie keinen elektrischen Rasenmäher gekauft hatten. Doch Nicci hatte die Theorie, dass mit Treibstoff angetriebene Rasenmäher effizienter waren.
Rasenmähen gehörte für David zu den eher unangenehmen Arbeiten. Es roch miefig nach spießigen Vorortsonntagen und mittlerem Alter. Doch Lizzies
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