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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Napoleonsgraben wechseln zu lassen, das war wohl das Einfachste. Dort wußte man, daß er geerbt hatte, die Verkäuferin konnte also nicht weiter überrascht sein. Er ging bis an die Thür, hier aber sank ihm der Muth, er schritt deshalb vorüber und wanderte bis zum Bassin Vauban hinunter, um seinen Muth wiederzufinden. Nach einem halbstündigen Spaziergange kam er noch immer unentschlossen zurück. Aber noch an demselben Abend zog er im Café du Commerce selbst in Gegenwart des Herrn Cauche in einer plötzlichen Anwandlung von Verwegenheit den Schein aus der Tasche und bat die Wirthin, ihn ihm zu wechseln. Diese hatte jedoch nicht genügend kleineres Geld, sie schickte also den Kellner damit in den Tabakladen. Man scherzte über diesen Kassenschein, der, obgleich schon zehn Jahre alt, ganz wie neu aussah. Der Polizeikommissar hatte ihn an sich genommen, ihn hin- und hergewendet und gemeint, der hätte gewiß irgendwo in einem Versteck geruht. Diese Aeußerung veranlaßte die Geliebte des Kapitäns außer Diensten, eine unendliche Geschichte von einem Schatze zu erzählen, den man unter der Marmorplatte einer Kommode aufgefunden hatte.
    Wochen verflossen. Das Geld, welches Roubaud jetzt in Händen hatte, stachelte seine Spielwuth nur noch mehr an. Er spielte nicht um hohe Summen, aber er hatte ein so scheußliches Pech, daß die zusammenaddirten täglichen kleinen Verluste schließlich einen großen Betrag ausmachten. Gegen Ende des Monats besaß er keinen Sou mehr und hatte bereits einige Louis auf Ehrenwort verloren; nun fühlte er sich ganz krank, weil er keine Karte mehr anzurühren wagte.Er kämpfte mit sich und mußte sich sogar zu Bett legen. Wie besessen kehrte der Gedanke an die noch in der Diele des Speisezimmers ruhenden neun Bankbillets in jeder Minute zu ihm zurück: er sah sie durch das Holz, er fühlte, wie sie ihm unter den Sohlen brannten. Er hätte sich ja noch einen Schein ohne Weiteres nehmen können! Aber diesmal hatte er es sich geschworen, eher seine Hand in das Feuer zu stecken, als von Neuem dort zu wühlen. Aber eines Abends, als Séverine eingeschlafen war, konnte er es nicht mehr ertragen; er fühlte sich so entsetzlich unglücklich, daß ihm die Thränen in die Augen traten; er entfernte abermals die Scheuerleiste. Wozu sich auch noch dagegen sperren. Dieses Leiden konnte er sich ersparen, denn er begriff vollständig, daß er doch einen Schein nach dem andern nehmen würde, bis keiner mehr da war.
    Am folgenden Vormittag bemerkte Séverine ganz zufällig eine frische Schramme an der Leiste. Sie bückte sich und überzeugte sich von dem Vorhandensein neuer Druckspuren. Zweifellos setzte ihr Gatte das Geschäft fort. Sie war selbst betroffen von dem Zorn, der sie erfüllte, denn sie war für gewöhnlich in Geldangelegenheiten nichts weniger als interessirt und überdies glaubte auch sie sich entschlossen, eher Hungers zu sterben als diese mit Blut befleckten Banknoten anzutasten. Aber gehörten sie nicht ihr gerade so gut wie ihm? Warum verfügte er heimlich darüber und vermied es sogar, sie zu Rathe zu ziehen? Bis zum Mittagessen quälte sie sich mit Gedanken darüber ab; sie würde wahrscheinlich ebenfalls die Leiste entfernt haben, wenn nicht bei dem Gedanken, dort allein suchen zu sollen, ein Gefühl der Kälte ihr Haar gestreift hätte. Konnte der Tod nicht auf’s Neue aus tiefem Loche erstehen? Tiefe kindliche Furcht machte ihr den Aufenthalt in ihrem Wohnzimmer so unangenehm, daß sie ihre Arbeit zusammenraffte und sich in ihr Schlafzimmer einschloß.
    Als Beide am Nachmittag schweigend die Ueberbleibsel eines Ragouts verzehrten, kochte es in ihr heftig auf; ganz gegen ihren Willen fühlten sich ihre Augen zu der bewußten Stelle der Diele wiederholt hingezogen.
    »Du hast schon wieder etwas genommen, nicht wahr?« fragte sie plötzlich.
    Er hob überrascht den Kopf.»Was meinst Du?«
    »O spiele nur nicht den Unschuldigen, Du weißt ganz gut, was ich meine … Aber höre mir gut zu: ich will nicht, daß Du das thust, denn es gehört mir ebenso gut wie Dir und mich macht es krank, wenn ich weiß, daß Du daran rührst.«
    Er ging für gewöhnlich allen Streitigkeiten aus dem Wege. Ihr gemeinsames Leben war nur noch eine erzwungene Berührung zweier an einander geketteter Wesen; sie sprachen tagelang kein Wort mit einander, sie kamen und gingen Seite an Seite, wie sich fremde, gleichgiltige und in sich abgeschlossene Personen. Deshalb begnügte er sich auch anstatt jeder

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