Die Bestie im Menschen
Erklärung mit einem bloßen Achselzucken zu antworten.
Aber Severine war zu aufgeregt, sie wollte mit dieser Geldfrage endlich zu Rande kommen, worunter sie schon seit dem Tage des Verbrechens so entsetzlich litt.
»Ich verlange, daß Du mir antwortest … Wage es doch, mir zu sagen, daß Du es nicht angerührt hast.«
»Was geht das Dich an?«
»Das geht mich sehr viel an. Heute erst fürchtete ich mich so, daß ich nicht im Zimmer bleiben konnte. Immer wenn Du dort nach Geld gesucht hast, habe ich drei Nächte hindurch die abscheulichsten Träume … Wir sprechen nie davon. Laß also alles liegen und zwinge mich nicht, davon zu reden.«
Er betrachtete sie mit seinen großen starren Augen und wiederholte brummig:
»Was geht es Dich an, wenn ich mir etwas nehme, ich zwinge Dich doch nicht, dasselbe zu thun. Das geht nur mich allein etwas an.«
Sie wollte heftig auffahren, doch faßte sie sich schnell. Ihr Gesicht drückte ein Gefühl des Leidens und Ekels aus, während sie sagte:
»Ich verstehe Dich nicht … Du warst trotz alledem immer ein rechtschaffener Mann und würdest Niemandem einen Sou genommen haben … Was Du gethan hast, kann allenfalls noch entschuldigt werden, denn Du wärest wahnsinnig und hast mich ebenfalls toll gemacht … Jetzt aber stiehlst Du dieses verfluchte Geld, das für Dich gar nicht mehr existiren sollte, zu Deinem Privatvergnügen … Was ist denn geschehen, wie konntest Du so tief sinken?«Er hörte ihr zu und war in diesem einen lichten Augenblicke nicht wenig betroffen, schon zum Dieb herabgesunken zu sein. Die Phasen der langsamen Demoralisation verschwanden, er konnte die Kluft nicht mehr überbrücken, welche der Mord um ihn gezogen hatte, sich nicht mehr erklären, warum eine andere Existenz, fast einem neuen Dasein gleichend begonnen hatte, während sein Haushalt zerfiel, sein Weib ihm abspenstig gemacht wurde und sich ihm feindlich gesinnt zeigte. Ebenso schnell aber fiel ihm ein, daß sich daran nichts mehr ändern ließe. Er machte eine Bewegung, als wollte er so ungelegene Reflexionen davonscheuchen.
»Wenn man sich zu Hause langweilt,« brummte er, »sucht man sich natürlich außerhalb zu zerstreuen. Da Du mich nicht mehr liebst …«
»Nein, ich liebe Dich nicht mehr.«
Er sah sie an, seine Faust schlug auf den Tisch und ein Blutstrom färbte sein Gesicht.
»Also laß auch mich in Frieden! Hindere ich Dich in Deinem Vergnügen? Urtheile ich über Dich? … Ein rechtschaffener Mann müßte manches an meiner Stelle thun, ich thue es aber nicht. Einen Fußstoß auf den Hintern müßtest Du zunächst erhalten, daß Du gleich zur Thür herausflögest. Dann werde ich vielleicht auch nicht mehr stehlen.«
Sie war bleich wie die Wand geworden. Sie hatte es sich schon oft gedacht, daß ihr Mann an einem innern Uebel kranken müßte, denn sonst hätte er, der Eifersüchtige, gewiß keinen Liebhaber seiner Frau geduldet. Das war das Anzeichen einer moralischen, unaufhaltsam fortschreitenden Gehirnerweichung, die jeden anderen Skrupel tödtete und das ganze Gewissen desorganisirte. Doch sie wehrte sich, sie wollte nicht die Schuldige sein. Bebend rief sie:
»Und ich verbiete Dir, das Geld zu nehmen.«
Er hatte fertig gegessen. Er faltete ruhig seine Serviette zusammen, erhob sich und sagte:
»Nun, wenn Du willst, können wir ja theilen.«
Er bückte sich bereits, um die Leiste zu heben. Doch schon war sie aufgesprungen und hatte den Fuß auf die Stelle gesetzt.
»Nein, nein! Du weißt, ich will lieber sterben … Oeffne nicht. Nein, nein, nicht vor meinen Augen!«Séverine hatte für diesen Abend ein Zusammentreffen hinter dem Bahnhof verabredet. Als sie nach Mitternacht heimkehrte, erinnerte sie sich wieder der Szene dieses Abends und schloß sich in ihrem Schlafzimmer ein. Roubaud hatte Nachtdienst, sie hatte also nicht zu befürchten, daß er kommen würde, abgesehen davon, daß er überhaupt sehr selten zu Hause schlief. Sie hatte die Oberdecke bis zum Kinn heraufgezogen, und die Lampe brennen lassen, sie konnte aber nicht einschlafen. Warum hatte sie nicht in die Theilung gewilligt? Bei dem Gedanken, aus diesem Gelde ebenfalls Nutzen ziehen zu können, fühlte sie bereits ihre Rechtschaffenheit nicht mehr so lebhaft protestiren. Hatte sie nicht auch das Vermächtniß von la Croix-de-Maufras angenommen? Sie konnte also auch das Geld sich aneignen. Dann aber schauderte sie wieder. Nein, niemals! Geld würde sie schon genommen haben, aber dieses Geld, dieses einem
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