Die Bestie im Menschen
Wiedererwachen seiner Leidenschaft fesselte ihn an das Haus, eine Art ängstlicher Erwartung der kommenden Dinge. Am selben Tage hörte er unter sich abermals frisches, jugendliches Lachen, eine von großen Kindern ausgehende Fröhlichkeit erfüllte das öde Haus mit dem Lärm eines auf einer Landpartie befindlichen Pensionats. Er erkannte die kleinen Dauvergne wieder. Er sagte zu Séverine nichts davon, die übrigens während des ganzen Tages keine fünf Minuten bei ihm bleiben konnte. Am Abend versank das Haus wieder in ein Schweigen des Todes. Seine Miene war ernst und seine Züge etwas bleich, als sie sich längere Zeit in ihrem Zimmer aufgehalten hatte. Er sah sie wieder scharf an und fragte:
»Ist er jetzt fort, haben ihn seine Schwestern mitgenommen?«
»Ja,« antwortete sie kurz.
»Wir sind also endlich allein, ganz allein?«»Ja, ganz allein … Morgen müssen wir uns trennen, ich muß nach Havre zurück. Unser Feldlager in dieser Einöde ist dann zu Ende.«
Er betrachtete sie noch immer, sie lächelte genirt.
»Es thut Dir leid, daß er fort ist.«
Als sie erzitternd protestiren wollte, unterbrach er sie:
»Ich will keinen Zank herbeiführen. Du siehst, ich bin nicht eifersüchtig. Du hast mir einmal gesagt, ich sollte Dich tödten, wenn Du mir untreu sein würdest, nicht wahr? Ich sehe aber gar nicht so aus wie ein Liebhaber, der sein Verhältniß zu tödten gedenkt … Aber Du kamst ja schließlich garnicht mehr herauf, ich konnte Dich nicht eine Minute für mich haben. Ich habe mich jetzt daran erinnert, was Dein Mann sagte, daß Du eines Abends doch noch bei diesem Burschen schlafen würdest, ohne Vergnügen an der Sache, nur der Neuheit halber.«
Sie hörte auf sich zu sträuben und wiederholte zweimal nachdenklich:
»Der Neuheit … der Neuheit …«
Dann sagte sie unter dem Zwange der sie plötzlich anwandelnden Freimüthigkeit:
»Schön, es ist alles wahr … Wir Beide können uns ja alles sagen. Uns knüpfen genug Dinge an einander … Schon seit Monaten verfolgte mich dieser Mensch. Er wußte, daß ich Dir gehörte und dachte, es würde mich nicht viel kosten, auch ihm dasselbe zu sein. Als ich ihn hier unten wiedersah, hat er mir wieder davon gesprochen und mir gesagt, daß er mich zum Sterben liebe; sein Gesicht drückte dabei eine so große Erkenntlichkeit für die ihm geleistete Hilfe aus, daß ich in der That mir einen Augenblick einbildete, daß auch ich ihn liebe, daß ich etwas Neues kennen lernen würde, vielleicht besseres, sanfteres … kurz vielleicht etwas freudeloses, aber doch beruhigendes …«
Sie unterbrach sich und zögerte etwas, ehe sie fortfuhr:
»Denn wir Beide kommen nicht mehr weiter, vor uns steht ein unüberwindliches Hinderniß … Der Traum unserer Abreise, die Hoffnung, dort drüben in Amerika ein reiches und glückliches Leben führen zu können, diese ganze Glückseligkeit, die allein von Dir abhing, ist nicht mehr möglich, weil Du Dich nicht getraut hast … O ich mache Dir keineVorwürfe, vielleicht war es besser, daß es so gekommen ist. Ich will Dir nur zu verstehen geben, daß ich von Dir nicht mehr als ich bereits gehabt, erwarten kann: morgen wird es sein wie gestern, dieselbe Langeweile, dieselben Verdrießlichkeiten.«
Er ließ sie sprechen und fragte erst, als sie schwieg:
»Und aus diesem Grunde hast Du Dich ihm hingegeben?«
Sie machte einige Schritte durch das Zimmer, dann trat sie wieder zu ihm und zuckte mit den Schultern.
»Nein, das habe ich nicht gethan, ich sage es Dir wie es ist und ich weiß. Du wirst mir glauben, weil wir Beide uns nichts vorzulügen brauchen … Nein, ich war dessen nicht fähig, ebensowenig, wie Du jenes Andre vollbringen konntest. Gelt, Du erstaunst, daß eine Frau sich Jemandem versagen kann, trotzdem sie bei näherem Ueberlegen findet, daß ihr Interesse darunter leidet? Ich selbst dachte nicht so lange darüber nach; mich hat es nie viel gekostet, gefällig zu sein, ich will sagen, meinem Manne oder Dir ein Vergnügen zu bereiten, da ich sah, wie sehr Ihr Beide mich liebtet. Aber diesmal konnte ich es nicht. Er hat mir die Hände geküßt, nicht einmal die Lippen, ich kann es Dir zuschwören. Er erwartet mich später in Paris, ich sah, wie unglücklich er war und wollte ihn nicht ganz verzweifeln lassen.«
Sie hatte Recht, Jacques glaubte ihr und sah, daß sie nicht log. Die Angst packte ihn von Neuem, der schreckliche Wirrwarr seines Verlangens wuchs wieder bei dem Gedanken, mit ihr allein, fern von
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