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Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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aller Welt der wieder entfachten Flamme ihrer Leidenschaft leben zu können. Er wollte ihr entrinnen und rief:
    »Und was hat es mit dem Anderen, diesem Cabuche, für eine Bewandtniß?«
    Sie trat hastig auf ihn zu:
    »Du hast also auch das bemerkt? … Ja, es ist wahr, auch er darf nicht vergessen werden. Ich frage mich immer wieder, was haben sie alle nur … Dieser hat mir gegenüber niemals ein Wort von Liebe verlauten lassen. Aber ich bemerke wohl, daß er sich seine Arme verrenkt, wenn wir uns umarmen. Wenn er mich zu Dir Du sagen hört, stellt er sich in die Ecke und weint. Außerdem stiehlt er mir alles,meine Sachen, Handschuhe, ja selbst Taschentücher, die er wie Kostbarkeiten in seine Höhle schleppt … Du wirst Dir hoffentlich nicht einreden, daß ich jemals diesem Wilden gefällig sein könnte. Er ist zu riesig, er jagt mir Furcht ein. Er verlangt übrigens auch nichts … Nein, nein, diese großen brutalen Menschen sterben lieber aus Liebe, wenn sie furchtsam sind, ehe sie etwas fordern. Du könntest mich ihm einen ganzen Monat anvertrauen, er würde mir nicht mit den Fingerspitzen zu nahe kommen, ebensowenig wie er Luisette berührt hat, wofür ich heute einstehen kann.«
    Ihre Blicke begegneten sich bei dieser Erinnerung und Schweigen trat ein. Sie gedachten vergangener Dinge, ihrer Begegnung bei dem Untersuchungsrichter in Rouen. Dann ihrer so süßen ersten Reise nach Paris, ihrer Stelldicheins in Havre und alles anderen, guten und schlechten, was darauf gefolgt war. Sie näherte sich ihm noch mehr, sie stand ihm jetzt so nahe, daß er die feuchte Wärme ihres Athems fühlte.
    »Nein, nein, diesem würde ich mich noch weniger hingeben, als den andern. Ueberhaupt keinem, verstehst Du, weil ich es nicht fertig bekäme … Und willst Du wissen, warum? Ich fühle es in dieser Stunde und glaube mich nicht zu täuschen: weil Du mich ganz besitzest. Es giebt dafür keinen anderen Ausdruck: ja, besitzest, wie man etwas mit beiden Händen ergreift und darüber in jeder Minute verfügt, als über einen leibeigenen Gegenstand. Vor Dir habe ich Niemandem angehört. Ich bin Dein und bleibe Dein, selbst wenn Du es nicht mehr willst, selbst wenn ich selbst es nicht mehr wollte … Ich kann das nicht erklären. Unsere Wege haben sich nun einmal so gefunden. Bei den andern flößt mir das Furcht und Widerwillen ein, während Du mir ein entzückendes Vergnügen bereitet hast, ein wahres himmlisches Glück … O ich liebe nur Dich, ich kann Niemand anders lieben, nur Dich!«
    Sie öffnete die Arme, um ihn zu umarmen, um ihren Kopf an seine Schultern, ihre Lippen auf seine zu legen. Er ergriff aber ihre Hände und hielt sie sich kopflos, erschreckt vom Leibe, denn er fühlte den einstigen Schauder durch seine Glieder zucken, sein Blut im Gehirn toben. Da war es wieder, dieses Brausen in den Ohren, dieseHammerschläge, dieser wahnsinnige Tumult seiner einstigen großen Krisen. Seit einiger Zeit durfte er sie weder am lichten Tage besitzen, noch beim Schimmer einer Kerze, aus Furcht verrückt zu werden, wenn er sie sähe. In diesem Augenblick aber befanden sich Beide im Scheine einer Lampe. Er zitterte und begann sich aufzuregen, weil er im Licht dieser Lampe die weiße Rundung ihrer Brüste aus dem offenen Ausschnitte ihres Hauskleides blicken sah.
    Brennend vor Verlangen und flehend fuhr sie fort:
    »Unser Leben ist allerdings aussichtslos geworden. Aber ob ich von Dir noch etwas Anderes zu erwarten habe, ob der morgige Tag uns dieselbe Langeweile und dieselben Verdrießlichkeiten bringen wird, mir soll es gleichgiltig sein, ich habe keine andere Bestimmung mehr als mein Leben hinzuschleppen und mit Dir zu leiden. Wir fahren nach Havre zurück, komme es wie es wolle, wenn Du nur von Zeit zu Zeit auf eine Stunde mir gehörst … Ich schlafe schon drei Nächte nicht mehr dort in meinem Zimmer auf der anderen Seite des Flures, weil mich nach Dir verlangt. Du warest so leidend und sahest so verdüstert aus, daß ich mich nicht traute … Aber heute Abend mußt Du mich bei Dir behalten. Du sollst sehen, wie lieb ich sein werde, ich will mich auch ganz klein machen, um Dich nicht zu stören. Und dann, es ist die letzte Nacht … In diesem Hause befindet man sich wie am Ende der Erde. Nichts regt sich, kein Hauch, keine Seele. Niemand kann kommen, wir sind allein, so allein, daß Niemand es wissen könnte, ob wir in unseren Armen sterben wollen.«
    Jacques stachelte ein wüthendes Verlangen nach ihrem Besitz. Ihre

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