Die Bestie im Menschen
Einkünfte nicht gestatteten, lebte er in der Abhängigkeit eines schlecht bezahlten, nur von kleinen Leuten aufgesuchten Beamten, in welcher selbst intelligente Menschen untergehen und darauf warten, daß man sie kauft. Seine Intelligenz zeugte von einem sehr lebendigen, aufgeknöpften Verstande; er war sogar ein ehrenhafter von Liebe zu seinem Berufe erfüllter, und von seiner Allmacht als absoluter Herr über die Freiheit anderer, in sein Arbeitscabinet getretener Menschen berauschter Herr. Lediglich sein Interesse hielt seine Leidenschaftlichkeit in Grenzen, er dürstete darnach, decorirt und nach Paris versetzt zu werden. Und so ging er jetzt nur noch mit äußerster Vorsicht zu Werke, nachdem ihn am ersten Tage sein Eifer zu weit geführt hatte. Er ahnte die Abgründe, die ihn von allen Seiten umgaben und in die seine Zukunft für immer versinken konnte.
Es muß aber auch gesagt werden, daß Herr Denizet gleich bei Beginn der Untersuchung einen Wink erhalten hatte. Ein guter Freund rieth ihm, das Justizministerium in Paris aufzusuchen. Dort hatte er lange mit dem Generalsekretär, Herrn Camy-Lamotte konferirt, einer hoch in Gunst stehenden Persönlichkeit, in deren Hand das Wohl aller Angestellten lag, insofern als er die Beförderungen besorgte und mit den Tuilerien in fortwährendem Verkehr stand. Herr Camy-Lamotte war ein schöner Mann, der seine Laufbahn ebenfalls als Substitut begonnen hatte; aber Dank seiner Verbindungen und seiner Frau hatte er es verstanden, sich zum Deputirten wählen und zum Großoffizier der Ehrenlegion ernennen zu lassen. Die Sache Grandmorin war auf ganz natürliche Weise in seine Hände gelegt worden, denn der kaiserliche Prokurator in Rouen, besorgt ob dieses nicht ganz reinlichen Trauerspiels, dem ein einstiger Justizbeamter zum Opfer gefallen war, hatte die Vorsicht gebraucht, dem Minister darüber zu berichten, welcher seinerseits seinen Generalsekretär mit der Überwachung derselben betraut hatte. Es war das ein merkwürdiges Zusammentreffen der Umstände: Herr Camy-Lamotte war nämlich ein ehemaliger Mitschüler des Präsidenten Grandmorin, um einige Jahre jünger als dieser, aber mit ihm so eng befreundet, daß er ihn durch und durch kannte, selbst seine Laster. Er sprach deshalb von dem tragischen Tode seines Freundes mit großer Theilnahme und aus seiner Unterredung mit Herrn Denizet konnte dieser sein brennendes Verlangen, den Schuldigen zu erwischen, mehr als einmal heraushören. Er verbarg ihm aber auch nicht, daß man in den Tuilerien sehr ungehalten wäre über den unverhältnißmäßigen Lärm, den die Angelegenheit machte und empfahl ihm taktvoll vorzugehen. Kurz also, der Richter hatte eingesehen, daß er sich nicht übereilen und nichts ohne vorher eingeholte Genehmigung wagen dürfte. Er brachte nach Rouen die feste Ueberzeugung heim, daß der Generalsekretär seinerseits ebenfalls Agenten beauftragt habe, die ebenso begierig waren, Ruhm zu erwerben als er. Man wollte die Wahrheit wissen, um sie, wenn es nöthig sein sollte, besser zu verbergen.
Die Tage verflossen, und Herr Denizet ärgerte sich, trotzdem er sich mit Geduld zur Ruhe zwang, über die Sticheleien der Presse. Jetzt erschien auch der Polizist, die Nase im Winde wie ein guter Hund, auf der Bildfläche. Ihn trieb die Begier, die richtige Fährte zu finden, der Ruhm, der erste zu sein, der den Mörder gewittert, aber auch die Bereitwilligkeit, ihn laufen zu lassen, wenn er Befehl bekam. Vergebens harrte Herr Denizet auf einen Brief, einen Rath, ein bloßes Zeichen aus dem Ministerium, nichts kam und so machte er sich denn eifrig wieder an die Untersuchung. Zwei oder drei Verhaftungen waren erfolgt, aber keine konnte aufrecht erhalten werden. Aber die Eröffnung des Testamentes des Präsidenten bestärkte in ihm einen Verdacht, den er schon von Beginn der Untersuchung an, oberflächlich allerdings nur, empfunden hatte: die Schuldigen waren möglicherweise die Roubaud. Dieses mit merkwürdigen Schenkungen bedachte Testament enthielt auch ein Legat für Séverine, die zur erblichen Eigenthümerin des Landhauses von la Croix-de-Maufras bestimmt wurde. Damit schien ihm der bisher vergebens gesuchte Beweggrund des Mörders gefunden: die Roubaud kannten die Bestimmung und hatten es sich über sich vermocht, ihren Wohlthäter zu ermorden, um auf diese Weise den sofortigen Nießbrauch zu haben. Diese Möglichkeit wurde in ihm zu um so größerer Wahrscheinlichkeit, als er sich auch erinnerte, daß Herr
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