Die Bestie von Florenz
bekam.
Spezi verspätete sich. Wie üblich hatte er seinen Wagen im Halteverbot auf der Piazza geparkt und sein großes »Journalist«-Zeichen hinter die Windschutzscheibe gelegt, neben den Presse-Sonderausweis, der ihm erlaubte, in der Altstadt überhaupt Auto zu fahren.
Er trat ein, eine Rauchfahne hinter sich herziehend, und bestellte einen Espresso (» stretto, stretto « – mit wenig Wasser, extra stark) und ein Glas Wasser. Ein schwerer Gegenstand zog seinen Trenchcoat auf einer Seite herunter.
Er warf seinen Filzhut auf die Sitzbank, rutschte auf den Platz mir gegenüber und holte ein in Zeitungspapier gewickeltes Objekt hervor, das er auf den Tisch legte.
»Was ist das?«
»Das wirst du gleich sehen.« Er hielt inne, um seinen Espresso herunterzukippen. »Hast du schon mal die Fernsehsendung Chi L’ha Visto? (Wer hat ihn gesehen?) angeschaut?«
»Nein.«
»Das ist eine der beliebtesten Sendungen im italienischen Fernsehen – eine Imitation eurer Fahndungs-Sendung America’s Most Wanted. Die Redaktion hat mich gebeten, an einer ganzen Sendereihe mitzuarbeiten. Sie wollen die gesamte Geschichte des Falls um die Bestie von Florenz von Anfang an bis heute rekonstruieren.«
Spezi hüllte sich in eine triumphierende Wolke blauen Rauchs.
»Fantastico!« , sagte ich.
»Und«, fügte er mit blitzenden Augen hinzu, »ich habe einen Knüller für die Sendung, von dem noch niemand weiß, nicht einmal du!«
Ich nippte an meinem Kaffee und wartete.
»Weißt du noch, dass ich dir von dem Kommissar erzählt habe, der mir gesagt hat, die französischen Touristen müssten schon in der Samstagnacht getötet worden sein, weil die Maden an ihnen so dick waren wie Zigarettenkippen? Also, ich habe es geschafft, die Fotos in die Hände zu bekommen, die die Spurensicherung am Montagnachmittag gemacht hat. In einer Ecke ist immer die Uhrzeit abgedruckt, zu der das Foto aufgenommen wurde, um fünf Uhr herum, drei Stunden nach der Entdeckung der Leichen. Wenn man sie vergrößert, kann man die Maden sehr gut sehen, und sie sind wirklich riesig. Ich habe ein bisschen nachgeforscht und festgestellt, dass der italienische Experte in forensischer Entomologie, auch international sehr angesehen, gemeinsam mit einem amerikanischen Kollegen vor zehn Jahren eine Methode entwickelt hat, mit der man den Todeszeitpunkt anhand des Stadiums von Insektenlarven feststellen kann. Er heißt Francesco Introna und ist Leiter des Istituto di Medicina Legale in Padua und außerdem Leiter des Laboratorio di Entomologia Forense am gerichtsmedizinischen Institut von Bari, wo er lehrt. Er hat dreihundert wissenschaftliche Veröffentlichungen in medizinischen Fachzeitschriften vorzuweisen und ist sogar Fachberater für das FBI! Also, ich habe ihn angerufen und ihm die Fotos geschickt, und er hat mir sein Untersuchungsergebnis zurückgesandt. Ein wunderbares Ergebnis. Hier ist der unumstößliche Beweis für Paccianis Unschuld, nach dem wir immer gesucht haben. Doug, hiermit können wir beweisen, dass Lotti und Pucci gelogen haben und seine Picknick-Freunde mit den Morden nichts zu tun hatten!«
»Fabelhaft«, sagte ich. »Aber wie funktioniert das? Was ist die wissenschaftliche Grundlage dafür?«
»Das hat der Professor mir erklärt. Die Maden sind deshalb so ungeheuer wichtig, weil sie zum Zeitpunkt des Todes dort angesiedelt werden. Die calliforidi , die sogenannten Schmeißfliegen, setzen eine große Anzahl von Eiern dicht nebeneinander ab. Sie legen nur tagsüber Eier, weil sie nachts nicht fliegen. Die Larven brauchen zwischen achtzehn und vierundzwanzig Stunden, bis sie schlüpfen. Und danach entwickeln sie sich nach einem festen Ablauf.« Er zog den Bericht aus der Manteltasche. »Lies selbst.«
Das Gutachten war kurz und prägnant. Ich stoppelte mir mühsam das knappe, wissenschaftliche Italienisch zurecht. Die Larven auf den Fotos von dem französischen Mordopfer, so stand es in dem Bericht, »hatten die erste Entwicklungsphase bereits abgeschlossen und befanden sich in der zweiten. Sie müssen mindestens sechsunddreißig Stunden zuvor auf dem Leichnam abgesetzt worden sein. Wenn der Mord in der Nacht vom 8. September (Sonntagnacht) begangen worden wäre, hätten die Eier erst bei Sonnenaufgang am 9. September abgelegt werden können. Da die Fotos zwölf Stunden später, um fünf Uhr nachmittags, entstanden, widersprechen die entomologischen Daten der Hypothese vom Tatzeitpunkt in der Sonntagnacht. Diese Daten beweisen, dass der Tod
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