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Die Bestie von Florenz

Die Bestie von Florenz

Titel: Die Bestie von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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Schuljahrs war ihr Italienisch so gut, dass sie anfingen, sich über unseres lustig zu machen. Wenn wir Italiener zu Gast hatten, marschierte Aletheia manchmal im Esszimmer herum, schwang die Arme und blökte in ihrer Imitation unseres grauenhaften amerikanischen Akzents: »Guten Abend, Mr. und Mrs. Coccolini! Wir freuen uns sehr, Sie kennenzulernen! Kommen Sie doch bitte herein und trinken Sie ein Glas Wein mit uns!« Unsere italienischen Gäste schüttelten sich jedes Mal vor Lachen.

    Und so gewöhnten wir uns in unserem neuen Leben in Italien ein. Florenz und die umgebenden Dörfer entpuppten sich als angenehm kleine Welt, in der jeder jeden zu kennen schien. Das Leben drehte sich eher um den Prozess des Lebens selbst als um irgendein Endergebnis. Der effektive Einkauf im Supermarkt einmal die Woche wich einer schockierend uneffektiven, aber sehr reizvollen Runde, auf der wir ein gutes Dutzend Läden und Stände aufsuchten, von denen jeder nur ein einziges Produkt verkaufte. Dabei wurden Neuigkeiten ausgetauscht, die Eigenschaften der angebotenen Waren diskutiert, und man hörte sich an, wie die Großmutter des Ladeninhabers das fragliche Lebensmittel zubereitete und servierte, was selbstverständlich die einzig richtige Art war, es auf den Tisch zu bringen, ganz gleich, was andere sagen mochten. Nie durfte man das Nahrungsmittel anfassen, das man kaufen wollte; es gehörte sich nicht, die Reife einer Pflaume zu prüfen oder selbst eine Zwiebel in den Einkaufskorb zu legen. Für uns war das Einkaufen eine hervorragende Italienisch-Lektion, wenngleich nicht ganz ungefährlich. Christine hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck bei einem gutaussehenden fruttivendolo (Obstverkäufer), als sie nach reifen pesce und fighe fragte statt nach pesche und fichi – nach Fisch und Fotze statt nach Pfirsichen und Feigen. Es dauerte Monate, bis wir uns auch nur ein klein wenig als Florentiner fühlten, obwohl wir rasch lernten, wie alle guten Florentiner verächtlich auf die Touristen hinabzuschauen, die gaffend und mit offenem Mund durch die Stadt schlenderten, in hässlichen Hüten, Khaki-Shorts und knallbunten Sportschuhen, riesige Wasserflaschen am Gürtel, als durchquerten sie die Sahara.
    Das Leben in Italien war eine seltsame Mischung aus alltäglich und erhaben. Wenn ich mitten im Winter mit noch schläfrigen Augen die Kinder morgens zur Schule fuhr, kam ich über den Hügel von Giogoli – und vor mir erhoben sich wie verzaubert aus dem Morgennebel die Dächer und Türme des großen mittelalterlichen Klosters La Certosa. Manchmal, wenn ich durch die gepflasterten Straßen der Stadt spazierte, betrat ich spontan die Brancacci-Kapelle und verbrachte fünf Minuten vor den Fresken, die die Renaissance eingeleitet hatten. Oder ich schlenderte zum Abendgebet durch die Badia Fiorentina, um mir in derselben Kirche, in der der junge Dante seine Liebste Beatrice bewundert hatte, gregorianische Choräle anzuhören.
    Bald lernten wir das italienische Konzept der fregatura kennen, unerlässlich für jeden, der in Italien lebt. Fregatura bedeutet, etwas auf eine Art zu tun, die nicht unbedingt legal und nicht unbedingt ehrlich, aber gerade eben noch nicht ungeheuerlich ist. Das ist italienische Lebensart. Wir erhielten unsere erste Lektion in den Feinheiten der fregatura, als wir Opernkarten für Verdis Il Trovatore reservierten. Als wir in die Oper kamen, erklärte man uns an der Kasse, es sei nichts über unsere Karten zu finden, obwohl wir sogar die Reservierungsnummer vorlegen konnten. Man könne leider gar nichts für uns tun – die Oper war absolut und vollständig ausverkauft. Die Menschenmenge, die schäumend hinter uns warten musste, war der leibhaftige Beweis dafür.
    Als wir gerade gehen wollten, begegneten wir einer Ladeninhaberin aus unserem Viertel, die mit Nerzmantel und Diamanten eher aussah wie eine Gräfin denn wie die Eigentümerin des Il Cantuccio, des winzigen Ladens, in dem wir unsere biscotti kauften.
    »Was? Ausverkauft?«, rief sie.
    Wir erzählten ihr, was passiert war.
    »Pah«, schnaubte sie. »Die haben Ihre Karten jemand anderem gegeben, jemand Wichtigem. Das haben wir gleich.«
    »Wissen Sie denn, wer …?«
    »Nein. Aber ich weiß, wie es in dieser Stadt läuft. Warten Sie hier, ich bin gleich wieder da.« Sie marschierte los, und wir warteten. Fünf Minuten später kam sie zurück, mit einem aufgelösten Mann im Schlepptau – dem Chef des Opernhauses persönlich. Er eilte auf uns zu und nahm

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