Die Bestie von Florenz
Augen.
Der Mord wird nie aufgeklärt, das Gemälde nie gefunden. Jetzt, fünfunddreißig Jahre später, kommen wir im New York der Gegenwart an. Sein Sohn, ein erfolgreicher Künstler, durchlebt die Midlife-Crisis. Er erkennt, dass er unbedingt etwas tun muss: den Mord an seinem Vater aufklären. Dazu muss er das verschollene Gemälde finden. Also fliegt er nach Florenz und beginnt mit der Suche. Die Reise wird ihn von staubigen Archiven über etruskische Grabstätten schließlich zu einer verlassenen Dorfruine hoch oben im Pratomagno-Gebirge führen, wo ein entsetzliches Geheimnis begraben liegt und ihn ein noch grausigeres Schicksal erwartet …
Das war der Roman, den ich in Italien hatte schreiben wollen. Dazu bin ich nie gekommen. Die Bestie von Florenz hat mich davon abgelenkt.
Unsere Zeit in Italien sollte das Abenteuer unseres Lebens werden, auf das wir erstaunlich schlecht vorbereitet waren. Keiner von uns sprach Italienisch. Ich hatte im Jahr zuvor ein paar Tage in Florenz verbracht, aber meine Frau Christine war in ihrem ganzen Leben noch nicht in Italien gewesen. Unsere Kinder hingegen waren in diesem Alter wunderbarer Flexibilität, in dem sie selbst die außergewöhnlichsten Herausforderungen mit fröhlicher Nonchalance hinnahmen. Für sie gab es im Leben nichts Außergewöhnliches, weil sie noch gar nicht gelernt hatten, was gewöhnlich ist. Als es so weit war, bestiegen sie das Flugzeug daher vollkommen unbekümmert. Meine Frau und ich waren nervöse Wracks.
Wir kamen im August 2000 in Florenz an – Christine, ich und unsere beiden Kinder, Aletheia und Isaac, damals sechs und fünf Jahre alt. Wir meldeten unsere Tochter in der ersten Klasse einer italienischen Schule, Isaac im Kindergarten und uns selbst in einem Italienischkurs an.
Unser Neuanfang in Italien hatte natürlich seine Tücken. Aletheias Lehrerin berichtete, es sei eine Freude, ein so fröhliches Kind in ihrer Klasse zu haben, das den ganzen Tag lang sang – sie frage sich nur, was unsere Tochter singe. Das fanden wir bald heraus:
Ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagt
Sie redet den ganzen langen Tag,
Aber ich versteh nicht ein Wort, das sie sagt …
Rasch machten sich kulturelle Differenzen bemerkbar. Nach wenigen Tagen im Kindergarten kam Isaac mit großen Augen nach Hause und erzählte uns, dass die Lehrerin während der Spielpausen Zigaretten rauchte und die Kippen auf den Spielplatz warf – und dass sie einen Vierjährigen geschlagen (geschlagen!) hatte, der eine davon rauchen wollte. Isaac nannte sie »die schreiende Eidechse«. So schnell wie möglich versetzten wir ihn und seine Schwester an eine von Nonnen geführte Privatschule am anderen Ende der Stadt. Nonnen, so hofften wir, würden weder rauchen noch Kinder schlagen. Zumindest in Ersterem behielten wir recht, und den einen oder anderen Klaps akzeptierten wir schließlich als kulturelle Eigenart, mit der wir leben mussten. Das galt auch für Raucher in Restaurants, die allgemeine Todesverachtung im Straßenverkehr und Warteschlangen im Postamt, wenn man seine Rechnungen bezahlen wollte. Das Schulgebäude war eine prächtige Villa aus dem achtzehnten Jahrhundert, die die Schwestern des Ordens San Giovanni Battista zu einem Kloster mit Schule umgebaut hatten. Der Pausenhof der Kinder war ein 8000 Quadratmeter großer italienischer Park mit Zypressen, säuberlich gestutzten Hecken, Blumenrabatten, Springbrunnen und Marmorstatuen von nackten Frauen. Der Gärtner und die Kinder standen miteinander auf Kriegsfuß. Niemand in der Schule, nicht einmal die Englischlehrerin, sprach Englisch.
Die direttrice der Schule war eine strenge Nonne mit glänzenden Augen, die nur ihren vernichtenden Blick auf jemanden zu richten brauchte, ob Schulkind oder Elternteil, um die betreffende Person in Angst und Schrecken zu versetzen. Eines Tages nahm sie uns beiseite und sagte uns, dass unser Sohn un monello sei. Wir dankten ihr für das Kompliment und eilten nach Hause, um das Wort nachzuschlagen. Es bedeutete »Frechdachs«. Ab da nahmen wir zu Elternsprechstunden ein Taschenwörterbuch mit.
Wie wir gehofft hatten, lernten unsere Kinder rasch Italienisch. Eines Tages setzte Isaac sich zum Abendessen an den Tisch, blickte auf das Pastagericht hinab, das wir gekocht hatten, verzog das Gesicht und sagte »Che schifo!« – ein ordinärer Ausdruck, der in etwa bedeutet »Wie eklig!«. Wir waren sehr stolz auf ihn. Weihnachten sprachen sie schon in ganzen Sätzen, und bis zum Ende des
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