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Die Bestie von Florenz

Die Bestie von Florenz

Titel: Die Bestie von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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Musketierbart, scharfen blauen Augen und kindlich wirkenden Ohren. Er sah aus wie eine erwachsene Version seines Ahnen Lodovico Capponi auf dem Gemälde von Bronzino, das im Frick Museum in New York hängt. Als der Graf meine Frau begrüßte, küsste er ihre Hand auf eine sehr seltsame Weise. Später erfuhr ich, dass dies eine uralte Geste ist – der Edelmann nimmt die Hand der Dame und hebt sie mit einer eleganten, leichten Drehung bis auf etwa fünfzehn Zentimeter an seine Lippen heran, wobei er eine flotte halbe Verbeugung darüber macht. Dabei dürfen seine Lippen selbstverständlich niemals die Haut tatsächlich berühren. Nur adlige Florentiner begrüßen Damen auf diese Weise. Alle anderen geben sich einfach die Hand.
    Die Capponi-Bibliothek lag am Ende eines trüben, eiskalten Flurs, der mit Wappen geschmückt war. Der Graf bat uns, in der Umarmung riesiger Eichenstühle Platz zu nehmen, setzte sich dann auf einen metallenen Trethocker hinter einem alten Refektoriumstisch und hantierte mit seiner Pfeife. Die Wand hinter ihm bestand aus Hunderten Fächern mit Familienaufzeichnungen, Manuskripten, Wirtschaftsbüchern und Urbarien, die achthundert Jahre zurückreichten.
    Der Graf trug ein braunes Jackett, einen weinroten Pullover, eine Hose und – recht exzentrisch für einen Florentiner – ausgelatschte, hässliche alte Schuhe. Er hatte einen Doktortitel in Militärgeschichte und unterrichtete am akademischen Zentrum der New York University in Florenz. Er sprach ein perfektes edwardianisches Englisch, das wie ein Relikt aus einem früheren Zeitalter klang. Ich fragte ihn, wo er Englisch gelernt habe. Englisch, so erklärte er mir, war in seine Familie gekommen, als sein Großvater eine Engländerin geheiratet und die beiden mit ihren Kindern zu Hause stets Englisch gesprochen hatten. Sein Vater Neri wiederum hatte sein Englisch wie ein Familienerbstück an seine Kinder weitergegeben – und so waren Ausdrucksweise und Aussprache der edwardianischen Epoche in der Familie Capponi fast ein Jahrhundert lang unverändert bewahrt worden wie ein Fossil.
    Die Gräfin Ross war Amerikanerin, sehr hübsch, reserviert, förmlich und mit einem trockenen Humor.
    »Ridley Scott war mit seiner Zigarre hier«, berichtete der Graf uns vom Regisseur des Films.
    »Die Truppe traf hier ein«, erzählte die Gräfin, »angeführt von der Zigarre, gefolgt von Ridley, gefolgt von einer andächtigen Menschenmenge.«
    »Sie hat recht viel Rauch produziert.«
    »Es war auch immer viel künstlicher Rauch hier drin. Ridley scheint von Rauch besessen zu sein. Und Büsten. Er brauchte ständig marmorne Büsten.«
    Der Graf warf einen Blick auf seine Armbanduhr und entschuldigte sich sofort. »Ich will nicht unhöflich sein. Ich selbst rauche nur zweimal am Tag, nach zwölf Uhr und nach sieben.«
    Es war drei Minuten vor zwölf.
    Der Graf fuhr fort: »Er wollte während der Dreharbeiten mehr Büsten im Gran Salone . Er hat Büsten aus Pappmaché anfertigen lassen, die dann so behandelt wurden, dass sie alt aussahen. Aber die genügten ihm nicht. Also sagte ich ihm, ich hätte noch ein paar Büsten von meinen Ahnen im Keller, ob wir sie heraufholen sollten. Er fand die Idee wunderbar. Sie waren aber recht schmutzig, also fragte ich ihn vorsichtshalber, ob wir sie rasch abstauben sollten? O nein , erwiderte er, bitte nicht! Eine der Büsten war von meiner quadrisnonna , meiner Urururgroßmutter, geborene Luisa Velluti Zati aus dem herzoglichen Haus San Clemente, eine sehr züchtige Frau. Sie weigerte sich beispielsweise, ins Theater zu gehen, weil sie das für unmoralisch hielt. Jetzt erscheint sie als Requisit in einem Spielfilm. Und in was für einem Film! Gewalt, Gedärme, Kannibalismus.«
    »Man kann nie wissen, vielleicht wäre sie ganz erfreut«, sagte die Gräfin.
    »Die Filmcrew hat sich sehr gut benommen. Die Florentiner hingegen waren geradezu blutrünstig während der Dreharbeiten. Aber jetzt, da es vorbei ist, stellen dieselben Ladenbesitzer natürlich Schilder in ihren Schaufenstern auf: ›Drehort von Hannibal ‹.«
    Er sah erneut auf die Uhr, stellte fest, dass der mezzogiorno erreicht war, und zündete seine Pfeife an. Eine duftende Rauchwolke stieg zur fernen Decke auf.
    »Abgesehen von Rauch und Büsten war Ridley auch von Heinrich dem Achten fasziniert.« Der Graf erhob sich, kramte in einem Fach seines Archivs herum und zog schließlich einen Brief auf schwerem Pergament hervor. Der Brief war von Heinrich VIII. an einen

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