Die Bestie
betreffend. Nach einem Moment des Zögerns gab er es auf, den wunden Punkt zu finden, dessen Existenz er erahnte. Er zog die Beine unter die Bettdecke zurück und sagte: »Wahrscheinlich hast du recht. Doch die Tatsache, daß jene Frau bis in diesen Raum eindringen konnte, bevor wir sie entdeckten, hat mir zu denken gegeben. Es scheint, daß unser Versteck hier nicht sicher genug ist.«
Er brach mit einem Stirnrunzeln ab. Mit blitzartiger Plötzlichkeit erkannte er, daß er erst in dem Moment begonnen hatte, sich darüber Gedanken zu machen, als Peters auf der Szene erschien, und daß sein geistiger Zustand vorher tatsächlich ... anders gewesen war. Aber wie? Er schickte seinen nüchternen Verstand zu jenem Augenblick zurück, in dem er das Bewußtsein erlangt hatte. Es war erstaunlich schwierig, ein Bild von sich selbst in jenem ersten Moment zu gewinnen, als absolute Leere in seinem Gehirn geherrscht hatte. Um im nächsten Augenblick sofort das gesamte Bewußtsein Peters' mit allen seinen Ängsten und emotionellen Bausteinen in sich aufzunehmen. Das so außerordentlich Erstaunliche hierbei war, daß sein Gedächtnis Peters' vollständiges Gedankengut und sämtliches Wissen aufnahm, doch nichts anderes. Vor allem nichts von und über sich selbst.
Er blickte den Mann an. Die rasche, doch tiefgehende Prüfung durchkämmte alle Erinnerungen in Peters' Gedächtnis und ging zurück durch die Entwicklungsgeschichte eines dicken, dummen Jungen, der gerne Mechaniker werden wollte. Er hatte nicht den geringsten Grund dafür gehabt, sich dem Mob beizugesellen, der den Frauenumzug angegriffen hatte. Und die eigentliche Tumultszene war derart verwischt und undeutlich, der darauf folgende Gerichtsprozeß ein solcher Alptraum, daß kein einziges klares Bild durchkam. Die Angst war während der Flucht in aufgeregtes Hoffen übergegangen, und deshalb verfügte sein Gedächtnis über genügend klare und deutliche Einzelheiten über den Ausbruch, der drei Tage vor der geplanten Massenhinrichtung stattgefunden hatte.
»Und ich soll das tatsächlich alles getan haben?« dachte Pendrake ungläubig.
Doch die Tatsachen waren fest und unzweifelhaft in Peters Erinnerungen an das Unternehmen eingezeichnet. Er hatte das Radio in seiner Zelle auseinandergenommen und mit anderen Radioteilen, die ihm aus anderen Zellen zugereicht wurden, daraus zusammengebaut, das einen weißen Lichtstrahl erzeugte. Der Lichtstrahl fraß sich durch Beton und Stahl hindurch, als ob die Materialien überhaupt nicht existiert hätten. Ein Wärter, der ihn dabei überraschte, hatte entsetzt aufgeschrien, als sich die Pistole in seiner Hand auflöste und die Kleider an seinem Körper verzehrt wurden, ohne ihm selbst Schaden zuzufügen.
Die Natur der Waffe und die Ausbruchsweise, die sie ermöglichte, brachten es mit sich, daß die durch die Schreie des Wächters herbeigerufenen Verstärkungen wirkungslos blieben. Niemand hatte damit gerechnet, daß die Gefangenen durch solide Stahlbetonwände brechen könnten. Die Wagen befanden sich am verabredeten Treffpunkt, und die Flugzeuge standen in einem Wäldchen dicht neben der Wiese versteckt, von der sie dann starteten.
Alle diese Einzelheiten befanden sich in Peters' Gedächtnis, wie auch die Erinnerung, daß der Mann, der unter dem Namen Bill Smith bekannt war, von einer Maschinengewehrkugel getroffen worden war, als die Wagen vom Zuchthaus davonrasten. Er war mehrere Tage lang bewußtlos gewesen und erst jetzt erwacht.
Pendrake sann über die Geschichte nach, als Peters davoneilte, um die Suppe zu holen. Er kam schließlich zu der Überzeugung, daß er von den übrigen Menschen hier verschieden war. Bereits eine sehr flüchtige Analyse von Peters' Gedankengut hatte gezeigt, daß Gedankenlesen und das völlige Aufsaugen des Geistes eines anderen Menschen in Peters' Lexikon des Lebens nicht existierten. Er war dabei, langsam seine Suppe zu schlürfen, als Dr. McLard hereinkam. Ihn erstmalig Angesicht zu Angesicht vor sich sehend, statt sich auf das Gedankenbild in Peters' Erinnerungen stützen zu müssen, stellte Pendrake fest, daß der Arzt ein dürrer, kleiner Mann von etwa fünfunddreißig Jahren war und scharfe braune Augen hatte. Die Geschichte hinter dieser physischen Fassade war weitaus reicher und verwickelter, als die Peters', doch die im Augenblick für Pendrake sachdienlichsten Erinnerungsstücke waren einfacher Natur. Vormals ein Beamter des Gesundheitsamtes, war McLard wegen unsorgfältiger Arbeit
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