Die Bestien - Thriller (German Edition)
dass er ausgerechnet heute Nacht kommt, wo er einen Schnapsladen ausgeraubt hat und sturzbesoffen ist, ist eine dieser bitteren Pillen, die man im Leben schlucken muss.
Während er über den Highway rast, muss Jim das Fenster runterkurbeln, um sein verschwitztes Gesicht zu kühlen. Übel riechender Qualm füllt seine Lungen. Normalerweise würde er während der Fahrt Public Enemy oder Metallica ganz laut aufdrehen, oder diese brandneue Band aus Seattle, Pearl Jam. Aber heute Nacht, während er zu Helens Haus fährt, spielt er keine Musik. Er ist zu aufgedreht, um sich auf irgendetwas anderes als die Worte seiner Mutter zu konzentrieren: Er tut Suzie weh, Jim, er … er macht Sachen mit ihr, und …
Jim tritt aufs Gaspedal, seine Finger umfassen das Lenkrad so fest wie ein Schraubstock. Das war‘s. Jim hat dieses schleimige Arschloch davor gewarnt, was passieren wird, wenn er Suzie anfasst … und jetzt löst Jim dieses Versprechen ein.
Ich muss mich nur beeilen, ich sollte längst da sein. Gott, warum wohnen die auch so weit weg?
Wieso hab ich das Telefon nicht schon früher klingeln hören?
Vor seinem inneren Auge ziehen Bilder vorbei, Bilder davon, was Ryan seiner Schwester antut – Bilder, durch die er sich vor Wut fast übergeben muss. Tränen des Zorns rinnen über seine Wangen, während er sich durch den Verkehr schlängelt und das Hupen und die grellen Blitze ignoriert. Für ihn gibt es nur noch eine Sache, eine einzige Sache: Er muss zu Helen fahren und diesen Wichser wegpusten.
Jim sind die Konsequenzen egal. Ihm ist auch das Gefängnis egal. Für ihn zählt nur Suzie und das zu beenden, was er schon vor Monaten – verflucht, vor Jahren – hätte beenden sollen, aber er war zu sehr in seiner eigenen kleinkriminellen Welt und im Alkohol gefangen, um irgendetwas zu unternehmen.
Er hätte nicht zulassen dürfen, dass das passiert. Nicht Suzie, nicht seiner Mutter – es ist alles seine Schuld, und jetzt zahlt Suzie den Preis für seine Selbstsüchtigkeit.
»Dieser beschissene Schwanzlutscher!«, brüllt Jim.
Der Mann hat Nerven. Glaubt er etwa, Jim erfährt nichts davon? Glaubt er, Helen würde ihren Sohn nicht anrufen, damit er vorbeikommt und dem, was er tut, ein Ende bereitet? Nach all den Warnungen besitzt der Typ immer noch die Frechheit, Suzie wehzutun.
Das könnte eine Falle sein, denkt ein kleiner Teil in Jims Hirn, aber der verstummt schnell wieder, als er die Sirenen hört.
Er schaut in den Rückspiegel und sieht die roten und blauen Lichter.
»Nein!«, schreit Jim und prügelt auf das Lenkrad ein. Ich glaub das nicht!
Der Polizeiwagen kommt immer näher, und als er ganz dicht auf ihn auffährt, weiß er, dass er definitiv nicht hinter jemand anders her ist.
Ist es, weil er zu schnell gefahren ist? Ein Blick auf den Tacho zeigt ihm, dass er weit über dem Tempolimit liegt.
Er will auf dem Weg zu Helens Haus keine Sekunde verlieren, aber wenn sie ihm wirklich nur einen Strafzettel verpassen wollen, ist es vielleicht gar keine so schlechte Idee, anzuhalten.
Die Lichter tanzen vor seinen Augen im Kreis – blau, rot, blau, rot, blau, rot – und die Sirenen dröhnen in seinem Kopf und schicken den Heulton direkt in sein Hirn.
Wem mache ich was vor?
Jim kennt die Wahrheit – sie haben ihren Mann gefunden, er hat den Schnapsladen ausgeraubt. Wenn er anhält, bekommt er keinen Strafzettel – wahrscheinlich eher Gefängnis, vor allem mit seinem Vorstrafenregister.
Und jetzt noch zu schnelles Fahren, Trunkenheit am Steuer, unerlaubter Waffenbesitz …
Jim kann nicht anhalten, nicht, wenn Suzie sich auf ihn verlässt. Die Bullen können ihn später mitnehmen, aber jetzt muss er erst noch was erledigen.
Jim tritt das Gaspedal ganz durch. Der Wagen dreht hoch, und er bringt ein ordentliches Stück zwischen sich und die Bullen, aber sie holen ihn schnell wieder ein.
Warum heute Nacht, hä? Warum jetzt? Warum hätten sie mich nicht erst morgen finden können? Verdammt, warum will Gott mir nur dauernd eins reinwürgen?
Die Bullen kleben an seinem Heck wie Fliegen an der Scheiße, und Jim fragt sich, ob sie wohl irgendwann anfangen werden zu schießen. Oder machen sie das nur im Film? Er war vorher noch nie an einer Verfolgungsjagd mit der Polizei beteiligt, deshalb weiß er nicht, was er zu erwarten hat. Noch mehr Streifenwagen? Eine Straßensperre?
Bitte keine Straßensperre.
Dann fährt er an dem Schild vorbei, auf dem Willkommen in Parkville steht, und er konzentriert sich wieder
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