Die Bestien - Thriller (German Edition)
ihr mieses Urteilsvermögen in Sachen Männer.
Aber dann ist Ryan vor ein paar Jahren auf der Bildfläche erschienen. Er und Helen haben sich in einer örtlichen Bar kennengelernt. Alles entsprach komplett dem White-Trash-Klischee. Eine Woche später ist Ryan eingezogen. Jim mochte den Typen von Anfang an nicht. Er gelt sich sein Haar zurück, so als sei er Grease direkt entsprungen, und er trägt eine billige, falsche Lederjacke und Cowboystiefel mit Metallspitzen. Aber es ist mehr als nur sein schlechter Modegeschmack, der Jim übel aufstößt – es sind seine heimtückischen Augen und seine lüsternen Kommentare. Einmal, als sie alle in einer Kneipe beim Abendessen saßen – Suzie saß ganz still neben Jim –, begann Ryan, ungehobelte Kommentare zu jeder Kellnerin abzugeben, die an ihrem Tisch vorbeiging, Sachen wie: »Der würd ich gern mal meine Bratwurst reinstecken« oder »Schau dir mal die Titten von der da an«. Als Jim ihm sagte, er solle verdammt noch mal die Klappe halten, weil er sein Bier sonst aus seinem Arsch trinken könne, ließ Ryan die Geschmacklosigkeiten zwar sein, geiferte den Frauen aber weiterhin nach. Jim war sich nicht sicher, ob Helen es bemerkte oder ob es sie überhaupt interessierte, aber Jim beobachtete angewidert, wie Ryans Blick immer wieder auf die knappen Röcke und offenen Blusen fiel statt auf Helen. Jim war es bald leid, sich Ryans hässliche Visage noch weiter anschauen zu müssen, und deshalb verließ er die Kneipe und brachte Suzie zurück in Helens Wohnung, wo sie sich vor den Fernseher setzten, bis Helen und Ryan zurückkamen.
An dem Tag, an dem Helen ihm eröffnete, Ryan sei »vielleicht der Richtige«, drehte sich Jim bei dem Gedanken, dass dieser Mann Suzies Stiefvater werden könnte, der Magen um. Er dachte sogar ernsthaft darüber nach, sein Leben in Ordnung zu bringen und zu versuchen, das Sorgerecht für seine kleine Schwester zu bekommen.
Jim brachte sein Leben aber nicht in Ordnung. Wenn überhaupt, wurde alles noch schlimmer, und Helen heiratete Ryan schließlich tatsächlich.
Laut Helen wurde er erst nach der Hochzeit gewalttätig.
Sie behauptete, es komme nur selten vor, nur wenn sie sich stritten, aber im Laufe der Zeit nahmen die Häufigkeit und die Heftigkeit ihrer Streitereien zu. Dann begannen die Telefonanrufe, bei denen Helen weinte und Jim erzählte, wie sehr sie Ryan hasste, und ihn anflehte, sofort vorbeizukommen, weil sonst etwas Schlimmes passieren würde. Jim gab jedes Mal nach, und immer, wenn er zu ihnen fuhr und es dem verdammten Scheißkerl mit gleicher Münze heimzahlte, hörte die Gewalt gegen Helen für eine Weile auf. Es dauerte jedoch nie lange, bis alles von vorne losging.
Im Gegensatz zu den anderen Typen haut Ryan aber nicht ab, obwohl Jim ihn stets bedrohlich warnt. Jim kann nicht sagen, ob der Typ wirklich so hart oder einfach nur dumm ist. Auf jeden Fall ist er ein Fiesling, aber soweit Jim weiß, hat er noch nie Hand an Suzie gelegt. Jim ist sich trotzdem sicher, dass er schon ein paarmal kurz davor war – er ist der brutalste Kerl, mit dem Helen je zusammengezogen ist. Vielleicht zieht er ja eine persönliche Grenze und schlägt einfach keine Kinder, aber vielleicht liegt es auch an Jims steter Drohung, dass er ihn töten wird, wenn er Suzie je wehtut. Es ist ganz simpel, kein Ausweg möglich: Ist Suzie verletzt, ist Ryan tot.
Das hält ihn aber noch lange nicht davon ab, Helen zu verprügeln. Und das Allerdämlichste, der Teil, den Jim wirklich nicht versteht, ist die Tatsache, dass Helen diesem Typen immer wieder verzeiht. Sie entschuldigt sich für ihn, obwohl sie Jim nur ein paar Stunden vorher in Tränen aufgelöst angerufen und ihn angefleht hat, vorbeizukommen und den Mistkerl umzubringen.
Es ergibt einfach keinen Sinn.
Aber Jim hält sich aus dem Privatleben seiner Mutter so weit wie möglich raus, weil er weiß, dass er Helens Meinung sowieso nicht ändern kann. Trotzdem lebt er in der ständigen Angst, dass Helen ihn eines Tages anruft und ihm sagt, Ryan habe noch einen draufgesetzt und angefangen, auch Suzie zu schlagen. Jim wusste schon immer, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bevor der Scheißkerl anfängt, ihr wehzutun, aber es gab nichts, was Jim hätte tun können. Sein Leben ist ein einziger großer Schlamassel, und da er Suzie nicht einfach kidnappen und in einen anderen Bundesstaat bringen kann, kann er nur dasitzen und hoffen, dass dieser Anruf niemals kommt.
Aber jetzt ist er gekommen.
Und
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