Die Bestien - Thriller (German Edition)
einen wenig Vertrauen erweckenden Riegel vor. Er hätte nicht einmal ein Baby davon abgehalten, sich Zutritt zu verschaffen, schon gar keinen ausgewachsenen Mann, aber ganz offensichtlich fühlte sich Darlene damit sicherer.
»Tut mir leid wegen der Unordnung«, entschuldigte sie sich.
Jim, der nun gebückt in ihrem Wohnwagen stand, ließ seinen Blick durch das provisorische Zuhause schweifen. Auf dem gesamten Boden und auf dem Bett, das sich in der einen Ecke des Wohnwagens befand, lagen Klamotten verstreut. Im Spülbecken stapelte sich Geschirr, und um die Essensreste auf einem mit Zeitschriften und halb leer gegessenen Müslischüsseln bedeckten Tisch schwirrten Fliegen.
»Lebst du ganz allein hier?«
»Ja«, antwortete Darlene. »Aber das macht mir nix aus. Es gefällt mir, weit weg von allen anderen zu sein.« Sie hatte einen starken Südstaatenakzent, aus ihrem Mund klang er jedoch ganz reizend. »Also, wie heißt du?«
»Jim Clayton.«
Darlene nickte. Sie lächelte. »Tut deine Schulter sehr weh?«
Jim sah auf sein zerrissenes, blutiges T-Shirt und schüttelte den Kopf. »Nur eine Fleischwunde.«
»Ich kann sie für dich säubern, wenn du willst, damit sie sich nich‘ infiziert. Ich hab Verbandszeug und all so was.« Darlene klang schüchtern, aber sehr besorgt, und Jim war aufrichtig gerührt.
Er hatte schon schlimmere Verletzungen gehabt, aber die Wunde fühlte sich tatsächlich unangenehm klebrig an. Es war sicher keine schlechte Idee, sie zu säubern. »Okay, aber nur, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Es macht mir nix aus. Setz dich.« Während Darlene durch den Wohnwagen huschte und die Dinge zusammensammelte, die sie benötigte, um seine Wunde zu säubern und zu verbinden, setzte Jim sich auf das Bett und machte sich daran, sein T-Shirt auszuziehen. Seine linke Schulter protestierte heftig, aber er biss die Zähne zusammen, und als er das T-Shirt abgestreift hatte, warf er einen Blick auf die Wunde. Es schien, als sei die Kugel am oberen Rand seiner Schulter eingedrungen, dann ein Stück durch sein Fleisch gewandert, an einem Knochen abgeprallt und etwa zwei Zentimeter neben der Eintrittswunde wieder ausgetreten. Er konnte von Glück sagen, dass der Chief so ein schlechter Schütze war – es hätte entschieden schlimmer kommen können.
Darlene tauchte wieder auf, den Arm voller Handtücher und Verbandsmull. Sie blieb stehen, als sie Jim sah, und schnappte deutlich hörbar nach Luft. »Wo hast ‚n du die ganzen Narben her?«, fragte sie.
Die Narben, die seinen Körper wie eine Marmorierung durchzogen, waren recht zahlreich und sahen ziemlich übel aus. Sie hätten jeden schockiert, der nicht darauf vorbereitet war. Inzwischen waren sie jedoch so sehr ein Teil von ihm, dass Jim die meiste Zeit vergaß, dass sie überhaupt da waren. Sie stammten von alten Wunden, und er hatte sie oft genug gesehen, um zu wissen, wo jede einzelne von ihnen begann und endete, wo er gewesen war, als er sich die Kampfnarbe zugezogen und wer sie ihm beigebracht hatte.
»Von verschiedenen Leuten zu verschiedenen Zeiten«, antwortete er ihr. Er deutete auf eine rote, striemenartige Narbe an der linken Seite seines straffen Bauches. »Da hat Wally, der Kampfhahn, mich mit seinem selbst gebastelten Messer niedergestochen.«
Darlene verzog das Gesicht. »Wer is‘ Wally, der Kampfhahn?«
»Er war mein Zellenkumpel im Gefängnis. Wir waren gute Freunde, bis er mich niedergestochen hat. Er hätte es mir besser in den Rücken rammen sollen, dann hätte ich ihn nicht sehen können … Aber er hatte eben noch nie alle Tassen im Schrank.«
»Wieso hat er dich denn niedergestochen, wenn ihr Freunde wart?«, fragte Darlene, während sie die zusammengesammelten Sachen auf dem Tisch ablud.
Jim zuckte die Achseln. »Das hab ich nie erfahren. Er wurde getötet, bevor ich die Chance hatte, ihn zu fragen.«
»Was is‘ mit der da?«, fragte sie und deutete auf die drei Zentimeter lange Narbe an seiner rechten Wange.
»Motorradunfall«, log Jim und wich vor Darlenes Finger zurück.
An diese spezielle Narbe hatte er keine Erinnerung, weder daran, wie er sie bekommen, noch wer sie ihm zugefügt hatte. Genau wie die Nacht, in der seine Schwester gestorben war, war auch diese Narbe ein Rätsel für ihn, ein fehlendes Puzzleteil in seinem Gehirn.
»Oh. Sieht eher aus wie ’ne Messerwunde.« Darlene hob ein kleines Handtuch auf, das aussah, als könne es eine Runde in der Waschmaschine vertragen, und tauchte es in einen Eimer mit
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