Die Bestien - Thriller (German Edition)
verschwunden war, schaute Stan zu der Stelle hinüber, an der Jim verschwunden war.
Was macht er denn bei Hal zu Hause? Und wo will er hin?
Stan wusste, dass er Adam hätte sagen sollen, was er gesehen hatte, aber soweit es ihn betraf, hatte er gar nichts gesehen.
Trotzdem hatte Jims Anblick Stan mit Schuldgefühlen erfüllt. Er erinnerte sich wieder an jenen Tag vor achtzehn Jahren, als er den alten Landstreicher erschossen hatte – einen unschuldigen Mann, dessen einziger Fehler es gewesen war, dass er kein Einheimischer war.
Genau wie Jim.
Stan war froh, dass sie ihn noch nicht getötet hatten – er brauchte wirklich keinen weiteren Toten auf seinem Gewissen. Aber er schämte sich dafür, dass er zugelassen hatte, dass ein unschuldiger Mann wie ein wildes Tier gejagt wurde.
Stan sah auf seine Hand, die noch immer den Türgriff festhielt. Er konnte ganz einfach einsteigen, nach Hause fahren und sich schlafen legen. Und versuchen, seine Schuld zu begraben, genauso, wie er es auch in den vergangenen achtzehn Jahren getan hatte. Und ein stummes Gebet sprechen, wenn er erneut Schüsse von den Bergen widerhallen hörte und wusste, dass schon bald ein weiterer Unschuldiger tot unter der Erde liegen würde.
Verdammt, dachte er.
Dieses Mal konnte er das nicht tun.
Vielleicht war es ja ein Zeichen von oben, dass er Jim noch einmal gesehen hatte – genau der Weckruf, den er brauchte. Aber was es auch war, er wusste, dass er nicht länger mit diesen Verleugnungen leben und auch diese Schuld nicht länger ertragen konnte, die ständig an ihm nagte.
Mit einem tiefen Seufzen, mit dem er Staub von seiner Seele zu blasen schien, stieg er in seinen Pick-up, aber statt nach Hause zu fahren, entschloss er sich, zu dem einzigen Menschen der Stadt zu fahren, der seine Schuld vielleicht verstehen konnte. Dem einzigen Menschen, von dem er wusste, dass er sich ihm anvertrauen konnte, ohne sich vor den Folgen fürchten zu müssen.
Es war an der Zeit, dass er Amy die Wahrheit über diese Stadt erzählte.
Dale stöhnte erneut.
Der Sergeant war zwar noch immer nicht wieder bei vollem Bewusstsein, aber Ethan nahm an, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bevor er wieder wach genug sein würde, um Zeter und Mordio zu schreien.
Ethan, der mit dem Rücken zum Sergeant stand, verfluchte Billy dafür, dass er so lange brauchte. Wo ist dieser Idiot?, fragte er sich.
In der Hoffnung, Billy endlich zu sehen, schaute er erneut in den Wald, fürchtete jedoch insgeheim, den Chief oder einen der Polizisten auf sich zukommen zu sehen. Vor lauter Nervosität musste Ethan pinkeln. Er öffnete seinen Reißverschluss und ließ es laufen.
Der Urinstrahl hörte sich auf den trockenen Kiefernnadeln unheimlich laut an und er hielt ziemlich lange an. Als Ethan fertig war, schloss er den Reißverschluss wieder und wischte sich die Hände an seiner Jeans ab.
Irgendwo schrie eine Eule, ein Kojote heulte, und auf halber Höhe der Klippe stöhnte und gurgelte Dale.
Ethan drehte sich um und sah auf den Sergeant hinunter. So verdreht, wie Dales Körper in dem Baum lag, sah es aus, als sei eines seiner Beine gebrochen.
Ethan streichelte sein Gewehr – wie sehr er sich doch wünschte, er könne einfach eine Kugel in Dales Kopf jagen und die Sache endlich hinter sich bringen.
Aber er konnte nicht riskieren, dadurch Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Hinter ihm knirschten Kiefernnadeln. Ethan wirbelte herum. Als er Billy sah, seufzte er: »Gott sei Dank. Warum hat das denn so lange gedauert?«
»Ich hab noch im Davey‘s vorbeigeschaut«, antwortete Billy.
»Was?«
Billy lachte heiser. »War nur‘n Scherz. Aber ich bin zu Hause mal ausführlich aufs Klo gegangen und hab mir‘n Sandwich gemacht.«
Ethan spürte die Leere in seinem Magen und dachte, wie herrlich ein Sandwich jetzt wäre. Er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.
»Wir hatten Glück. Ich musste das Seil nur zwei Jägern erklären.« Billy trug eine dicke Seilrolle auf einer Schulter.
»Und was hast du ihnen gesagt?«
»Dass ich es holen wollte, falls ich Lust bekomme, die Fremden aufzuhängen, anstatt sie zu erschießen.«
Ethan nickte. »Gute Idee.«
Billy trat an den Rand der Klippe und schaute hinunter. »Lebt noch«, grummelte er.
»Nicht mehr lange«, erwiderte Ethan. »Gib mir das Seil.«
Billy reichte Ethan das Seil, und dann ging Ethan zur nächsten Kiefer hinüber und schlang das eine Ende um den Stamm. Er wickelte es dreimal herum und knotete es dann
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