Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bestien von Belfast

Die Bestien von Belfast

Titel: Die Bestien von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Millar
Vom Netzwerk:
Gesundheit. Du bist schon angezogen hässlich wie die Nacht. Ich habe wirklich keine Lust, in absehbarer Zukunft deinen nackten, aufgedunsenen Leichnam hier vor mir auf dem Tisch zu haben. Du gäbst keine schöne Leiche ab.«
    »Wieso bist du nur so besessen vom Tod? Selbst wenn wir, was selten genug vorkommt, zusammen einen trinken gehen, kreisen deine Gespräche immer um Leute, die nicht mehr unter uns sind.«
    Tom nahm die Brille ab und rieb sich die tränenden Augen. »Zu deiner Information, meine Besessenheit vom Tod gilt dem Augenblick des Übergangs. Eben lebt man noch, und in der nächsten Sekunde ist man tot. Fort. Für immer. Staub. Paradoxerweise ist es aber so, wenn man den Toten zuhört, verraten sie einem Dinge, die die Lebenden nicht einmal ahnen. Manchmal erzählen sie einem etwas, das man lieber nicht gehört hätte. Du wärst überrascht, was sie mir manchmal alles erzählen.«
    »Das ist nicht komisch«, sagte Karl, dem es kalt den Rücken herunterlief. »Das ist ganz und gar nicht komisch.«

[zurück]
    Kapitel  Zwölf
    Zurück zum Albtraum, 1967
    »Im Herzen eines jeden Menschen wohnt der Teufel, doch wir merken erst, dass ein Mensch böse ist, wenn dieser Teufel geweckt wird.« James Oliver Curwood,
Back to God’s Country and Other Stories
    Die Verhandlung des Mannes, den die Presse aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Michelinmann »Bibendum« taufte, dauerte keine Woche. Bibendums Verteidiger bestellten einen Psychologen, der erklärte, dass man den Angeklagten, selbst wenn er schuldig wäre, nicht für seine Handlungen verantwortlich machen könne, da eine Geisteskrankheit sein Urteilsvermögen trübe.
    Zuletzt wurde als einziger und Hauptzeuge der Junge zu einer Aussage gezwungen, und er musste seine Version des Albtraums schildern und wie es war, durch einen Spalt in der Tür in die Hölle zu blicken.
    Der Junge verstand nicht, was vor sich ging. Warum musste er den Albtraum noch einmal durchleben? Hatte er nicht genug gelitten? Waren Erwachse in morbider Weise auf grässliche Details fixiert? Oder wollten sie einfach nur wissen, wie ein kleiner, für die Gegenwart des Todes scheinbar unempfindlicher Junge überleben konnte? Vielleicht war der Junge gar nicht so unschuldig, wie er behauptete?
    Als der Junge in den Zeugenstand trat, verfolgte ihn Bibendum vom anderen Ende des Gerichtssaals aus mit Blicken. Sein Blick war tot und strafte das kaum merkliche Lächeln in seinem Gesicht Lügen. Der Junge erinnerte sich gut an das feiste Gesicht, so unbehaglich nahe, bedrohlich und beängstigend, und den Geruch der Stimme.
    Der Vater des Jungen versicherte ihm, dass die Gerechtigkeit stets siegte und die Schuldigen ihrer Strafe nie entgingen. Sein Vater forderte ihn auf, tapfer zu sein.
    Aber der Junge war nicht tapfer. Die Worte blieben ihm wie gefroren im Hals stecken. Als sie im Kreuzverhör dann doch ein wenig auftauten, kullerten sie ihm aus dem Mund wie Eiswürfel aus einem schmutzigen Glas: Der Täter war kahl. Nein, er hatte ein paar Haare. Er war nackt. Vielleicht hatte er doch etwas an. Er hatte ein Messer. Es sah wie ein Messer aus. Vielleicht war es auch eine Schere, vielleicht ein Rasiermesser …
    Bibendums Anwalt stellte den verängstigten Jungen als Lügner hin; einen Lügner mit einem Hang zu wilden, frei erfundenen Geschichten. Einen Lügner, der etwas zu verbergen hatte. Der Anwalt versicherte, es täte ihm leid, was dem Jungen und seiner Mutter zugestoßen sei, doch es ginge darum, der Gerechtigkeit Genüge zu tun, nicht Gefühlen.
    Zu viele Zweifel.
    Zu viel fragwürdiges Gewicht auf Justizias Waagschale.
    Bibendum wurde nicht verurteilt.
    Als der Junge später an diesem Tag nach Hause kam, wartete er, bis sein Vater zu Bett ging.
    Der Junge zog sich nackt aus, schlüpfte in den Mantel seiner toten Mutter und schlang fest die Arme um sich. Die ganze Nacht verbrachte er in ihrer Haut, ihren mütterlichen Gerüchen, und spürte alle verlorenen Teile sich zusammenfügen, Teile, die er nicht gekannt hatte.
    Schließlich weinte er sich in den Schlaf. Es war das letzte Mal, dass er um jemanden weinte.

[zurück]
    Kapitel  Dreizehn
    Mittwoch, 14 .Februar (früher Morgen)
    »Ich hab das Grauen gesehen … Das Grauen, das auch Sie gesehen haben. Aber sie haben kein Recht, mich einen Mörder zu nennen. Sie haben das Recht, mich zu töten. Sie haben ein Recht, das zu tun … aber sie haben kein Recht, über mich ein Urteil zu fällen.« Colonel Kurtz,
Apocalypse Now
    Kurz nach

Weitere Kostenlose Bücher