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Die Bestien von Belfast

Die Bestien von Belfast

Titel: Die Bestien von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Millar
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Tritt zu geraten, obwohl er sich einbildete, direkt hinter ihm Schritte zu hören. Kurz bevor er den Ausgang erreichte, strauchelte er dann doch auf der untersten Stufe, wie ein Betrunkener, rappelte sich jedoch hastig wieder auf, obwohl er sich fühlte, als wären ihm alle Sinne geschwunden.
    Draußen, im strömenden Regen, rannte er zum Auto. Es wartete im Schatten auf ihn. Der beste Freund der Welt.

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    Kapitel  Dreißig
    Dienstag, 6 .März (früher Morgen)
    »Die beste Vorgehensweise freilich ist es, wie der Volksmund wohl sagt, nutzt man die Torheit der anderen aus.« Plinius der Ältere,
Naturalis historia
    »Du gehst mitten in der Nacht weg, kommst mit einer geschwollenen Hand zurück und erwartest von mir, dass ich nichts sage?«, schnaubte Naomi und goss dampfenden Kaffee in eine Tasse ein. Im Hintergrund flackerte ein Film in dem stumm geschalteten Fernseher.
    Karls Knöchel wurden bereits blau. Er bewegte zaghaft die Finger. Glücklicherweise schien nichts gebrochen zu sein.
    »Eine Lappalie. Ich habe einem Schleimbeutel eine verpasst. Das hatte er verdient – schon lange. Ich musste es aus mir rausbekommen, er in sich rein.«
    »Karl! Du schlägst Leute zusammen?« Naomi schüttelte fassungslos den Kopf. »Ist das eine Midlife-Crisis, von der ich wissen müsste? Wenn ja, was steht als Nächstes auf der Tagesordnung?«
    »Nichts«, sagte Karl und pustete sich vernehmlich auf die Knöchel. »Es gibt keine Tagesordnung. Aber etwas Eis wäre nett.«
    »Kannst du nicht ein einziges Mal vorsichtig sein?«
    »Vorsicht ist was für alte Leute.«
    Naomi gab Karl die Kaffeetasse. Als er sie berührte, verzog er das Gesicht.
    »Tut’s weh?«
    »Sehr.«
    »Gut.«
    »Du bist gemein.«
    »Wenn es sein muss, ja. Also, wer war dieser sogenannte Schleimbeutel, und was sollte der Unsinn, dass du einen Mann wegen eines Hundes sprechen musst?«
    Karl ließ den Blick zum Fernseher wandern, der ihn von Naomis hartnäckigen Fragen ablenkte. Es lief eine Art Historienfilm. Ein Mädchen posierte in einem mittelalterlichen Landhaus für einen Künstler.
    »Schalt auf Standbild, Naomi.«
    »Was?«
    »Der Film. Schalt auf Standbild.«
    »
Das Mädchen mit dem Perlenohrring?
«
    »Halt einfach den Film an, Naomi … bitte.«
    Widerstrebend gehorchte Naomi. Das Bild fror ein.
    »Kannst du ein Stück zurück, nur ein paar Sekunden?«
    Naomi drückte auf die Fernbedienung, der Film lief in Zeitlupe rückwärts.
    »Halt! Genau. Perfekt!«
    Karl trat näher an den Bildschirm, und betrachtete in Nahaufnahme ein junges Mädchen, das ihn direkt ansah und fast trotzig durch die Mattscheibe blickte.
    »Die Frau. Wer ist sie?«, fragte Karl leise.
    »Was?« Naomi sah verwirrt drein.
    »Die junge Frau, Naomi«, sagte Karl mit einem gereizten Unterton. »Wer zum Teufel ist das?«
    »Scarlett Johansson. Warum? Sag mir nicht, du stehst auf … Karl? Was ist denn los?«
    Plötzlich war Karls Verstand glasklar. Alles fügte sich schlagartig zusammen. Das Gesicht. Der Name, den ihm Paul der Barkeeper genannt hatte.
    Mein Phantom, du hast dich verändert … Jetzt hast du ein Gesicht.

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    Kapitel  Einunddreißig
    Samstag, 10 .März
    »Life is bare, gloom and misery everywhere / Stormy weather / Just can’t get my poorself together / I’m weary all the time / So weary all the time …« Billie Holiday,
Stormy Weather
    Die Antrim Road war an sich schon dunkel und gefährlich; die gefällten Bäume entlang der Straße machten sie noch gefährlicher. Vereinzelte Straßenlaternen warfen Licht auf einsame Flecken dunkler Erde und erzeugten flackernde Schatten, die ein Eigenleben zu führen schienen.
    Der prasselnde Regen, der auf Karls Auto trommelte, wurde zunehmend zum Sturzbach; Karl fühlte sich, als wäre er in einer Plastiktüte gefangen, in der er erstickten würde. Die regennasse Fahrbahn war rutschig und bot den Reifen kaum genug Halt für eine sichere Fahrt. Laut Wetterbericht markierte dieser Sturm den Höhepunkt in einem Monat sintflutartiger Regenfälle.
    »Logisch, dass es die beschissenste aller beschissenen Nächte sein muss …«, flüsterte Karl, der versuchte, Trost in der eigenen Stimme zu finden, was ihm freilich nicht gelang. Er hasste es, bei strömendem Regen fahren zu müssen; dem Schicksal und den Elementen ausgeliefert zu sein. Die abgenutzten Scheibenwischer, die graue Schlieren auf der Windschutzscheibe hinterließen, sodass man kaum etwas erkennen konnte, trugen nicht gerade zu seiner

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