Die Bestien von Belfast
Stärkepulvers, die am Bügelbrett hafteten. Da musste er an seine Mutter denken und fühlte sich schrecklich allein und ängstlich.
Ohne Vorwarnung krachte ein dickes Bein des nackten Mannes durch die Tür und verfehlte das Gesicht des Jungen nur knapp.
»Du hast mich sehr, sehr wütend gemacht …«, zischte der nackte Mann und bemühte sich, das dicke Bein frei zu bekommen; der Junge nutzte diesen Sekundenbruchteil und hoffte, er würde es bis zur Tür schaffen.
Er schaffte es. Zu seiner Erleichterung ließ sich die Tür mühelos öffnen, schwenkte gehorsam nach innen. Die berauschend kühle Nachtluft strich dem Jungen über das Gesicht, über den nackten Körper. Er fühlte sich lebendig. Plötzlich beherrschten Felder sein Blickfeld. Die Felder flogen an ihm vorbei und wichen wenig später Bäumen. Er spürte einen seltsamen Schwung, der ihn vorantrug. Wenn er nur die Farm der McMullens erreichen könnte, wäre er in Sicherheit.
Doch er erreichte das Farmhaus nicht; stattdessen spürte er, wie das schmutzige Messer ihn durchbohrte und das Blut seiner Mutter sich mit seinem vermischte.
Und so begann seine Hölle und seine Dunkelheit.
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Kapitel Drei
Dienstag, 9 .Januar
»Die Bedeutung eines Vorschlags liegt in der Methode seiner Verifizierung.« Moritz Schlock,
Philosophical Review
Am Abend schlenderte Joseph Kerr die Bank Street hinab und betrat sein Stammlokal, eines der ältesten Pubs in der Stadt.
Über dem Tresen bildete ein Kaleidoskop von Whiskeyflaschen eine gläserne Wolkenkratzersilhouette. Eine Guiness-Neonreklame spiegelte sich in geisterhaften Schlieren auf weißen und schwarzen Etiketten.
Gleich rechts der Bar wärmte sich eine Schar Gäste an einem offenen Kaminfeuer aus Torf und Holzscheiten. Rauchbeschlag tönte die Fensterscheiben. Freundliches Stimmengewirr erfüllte den Raum.
Paul, der Barkeeper, öffnete unaufgefordert eine Flasche Heineken und stellte ein Glas daneben. Er schenkte nicht ein, sondern schob einfach alles vor Joseph hin.
»Da draußen friert einem der Arsch ab«, sagte Joseph zu Paul und sah zu den Zechern am Kamin, die ihre heißen Whiskeys und Brandys tranken. »Die Bande sollte nicht die ganze Wärme blockieren, damit wir anderen auch noch was davon haben.«
Eine blonde Frau, die allein in einer der drei Nischen saß, lächelte schüchtern, wandte sich jedoch rasch ab, als Joseph sie ansah.
»Paul?« Joseph machte eine Kopfbewegung.
»Was?«
»Wer ist die Dame dort in der Nische?«
Paul zuckte die Achseln. »Die war im vergangenen Monat einige Male hier. Telefoniert viel, trinkt ihre Drambuie und geht wieder. Kein Aufstand, kein Getue. Hübsches kleines Ding, nicht?« Paul grinste. »Ich glaub allerdings nicht, dass sie eine Dame ist.«
»Was?«
»Ich glaube, die geht anschaffen«, flüsterte Paul.
»Blödsinn.«
»Dafür hab ich ein Näschen. Vermutlich ist hier ihre Operationsbasis. Wenn Frank das mitkriegt, schmeißt er sie achtkantig raus, mitsamt ihrem scharfen Hintern. Wir dürfen doch nicht zulassen, dass Prostituierte den guten Ruf eines angesehenen Etablissements ruinieren. Oder etwa nicht?« Paul zwinkerte.
Aus dem Augenwinkel bekam Joseph mit, dass sie wieder in seine Richtung sah.
»Schick ihr einen Drambuie rüber – einen großen.«
»Die ist ’ne Nummer zu groß für dich, Kumpel.«
»Mach’s einfach. Ist ein Fünfer für dich drin.«
Paul seufzte, schenkte den großen Drambuie ein und brachte ihn zu der Nische.
Im Spiegel beobachtete Joseph ihre Reaktion. Sie lächelte, schüttelte jedoch den Kopf. Paul kam mit dem unberührten Drambuie zurück.
»Ich sag jetzt nicht, dass ich es dir gleich gesagt habe«, meinte Paul lächelnd, steckte den Fünfer ein und wischte weiter das helle Holz des Tresens ab. »Wenn du mal wieder Geld für Pauls Wohl ausgeben willst, sag mir Bescheid.«
Joseph nahm die Herausforderung an, hob den Drambuie von Pauls Tablett und näherte sich der Nische. Die Frau stand auf und wollte gehen.
»Dram buidheach«, sagte Joseph und ahmte mit breitem Grinsen einen schottischen Akzent nach.
»Pardon?«
»Dram buidheach. Gälisch für köstliches Getränk. Drambuie. Man sagt, es bringt Unglück, wenn man einen Drambuie ablehnt.«
Die Andeutung eines Lächelns ihrerseits. »Danke, aber ich habe genug für heute. Vielleicht ein andermal?« Sie zwängte sich an ihm vorbei; ihr betörendes, verlockendes Parfüm stieg ihm in die Nase.
»Und warum nicht jetzt gleich?« Josephs Lächeln wurde noch
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