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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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Unterarm. Am Boden liegt ein Bündel schwarzer Schlaufen aus festem Stoff, groß genug, dass sich ein Mensch hineinsetzen kann. Zeke nimmt eine dieser Schlaufen und befestigt sie an einer Rolle am Stahlseil.
    Das Seil wiederum führt über den Gebäudekomplex hinweg bis zum Lake Shore Drive. Ob es irgendwo dort an der Uferstraße endet, weiß ich nicht. Aber eines weiß ich: Wenn ich hier mitmache, dann werde ich es erfahren.
    Wir sollen uns allen Ernstes aus tausend Fuß Höhe mit einer Schlaufe an einem Stahlseil abseilen.
    » Oh mein Gott«, stöhnt Uriah.
    Ich kann nur nicken.
    Shauna ist die Erste, die in die Schlinge steigt. Sie rutscht bäuchlings so weit nach vorn, bis sie fast ganz in dem schwarzen Tuch hängt. Dann legt Zeke einen Gurt um Schultern, Taille und Oberschenkel. Mitsamt der Schlinge zieht er sie bis an die Dachkante und zählt dann von fünf rückwärts. Shauna streckt den Daumen hoch, da versetzt ihr Zeke einen Stoß und sie verschwindet im Nichts.
    Lynn schnappt sichtbar nach Luft, als Shauna mit dem Kopf voran steil nach unten saust. Ich drängle mich an ihr vorbei, um besser sehen zu können. Shauna hängt sicher in der Schlinge, und dann ist sie zu weit weg, um noch etwas erkennen zu können, sie ist nur noch ein kleiner schwarzer Punkt über dem Lake Shore Drive.
    Die älteren Ferox johlen und recken die Fäuste und stellen sich hintereinander an, manche schieben den Vordermann weg, um sich vorzudrängeln. Irgendwie bin ich von den Anfängern in der Schlange die Erste, gleich vor Uriah.
    Nur noch sieben Leute, denke ich nervös. Und zugleich seufze ich innerlich, noch sieben Leute, bis ich endlich dran bin? Es ist eine merkwürdige Mischung aus Angst und Ungeduld, die ich bislang nicht kannte.
    Der Nächste, ein jugendlich aussehender Typ mit schulterlangen Haaren, legt sich mit dem Rücken statt mit der Brust in die Schlinge. Als Zeke ihn anstößt, breitet er die Arme weit aus.
    Keiner der Ferox scheint sich auch nur die geringsten Sorgen zu machen. Sie tun alle so, als hätten sie das schon tausendmal getan, und vielleicht stimmt es ja sogar. Aber ein Blick über die Schulter verrät mir, dass die meisten Anfänger blass oder ängstlich aussehen, auch wenn sie erwartungsvoll miteinander tuscheln.
    Was passiert im Verlauf der Initiation, dass sich Angst in eine solche Begeisterung verwandelt? Oder können die Älteren ihre Angst nur besser kaschieren?
    Drei sind noch vor mir. Wieder eine Schlaufe, ein Ferox steigt mit den Füßen voran hinein und kreuzt die Arme über der Brust. Zwei noch. Ein großer, kräftiger Junge hüpft auf und ab wie ein kleines Kind, ehe er in die Schlinge steigt und kreischend in der Tiefe verschwindet, woraufhin das Mädchen vor mir laut loslacht.
    Jetzt ist es nur noch eine.
    Sie steigt kopfüber in die Schlinge und streckt die Arme vor, während Zeke die Gurte anlegt.
    Und dann bin ich an der Reihe.
    Ich fange an zu zittern, als Zeke die Schlaufe an das Stahlseil hängt. Ich will hineinsteigen, aber ich schaffe es nicht, so stark beben meine Hände.
    » Keine Angst«, raunt mir Zeke ins Ohr. Er nimmt meinen Arm und hilft mir beim Einsteigen.
    Der Gurt wird um meinen Bauch geschnallt und Zeke zieht mich nach vorn zur Dachkante. Mein Blick gleitet an den Stahlstreben und den schwarzen Fenstern hinunter bis zu dem rissigen Gehweg. Was ich hier mache, ist komplett verrückt. Und genauso verrückt ist es, dass ich das Gefühl, wie mein Herz gegen mein Brustbein pocht und meine Hände schweißnass werden, auch noch genieße.
    » Fertig, Stiff?«, fragt Zeke feixend. » Ich muss sagen, ich bin beeindruckt, dass du jetzt nicht schreist oder heulst.«
    » Ich hab’s dir doch gesagt«, mischt sich Uriah ein. » Sie ist eine Ferox durch und durch. Jetzt mach schon.«
    » Vorsichtig, Bruder, sonst vergesse ich womöglich, deine Gurte festzuziehen«, antwortet Zeke und schlägt sich auf die Schenkel. » Und dann, klatsch!«
    » Ja, ja, schon gut«, erwidert Uriah. » Und dann würde dich Mutter bei lebendigem Leib rösten.«
    Zu hören, wie sie über ihre Mutter, über ihr intaktes Familienleben reden, versetzt mir einen Stich.
    » Nur wenn sie es herausfindet.« Zeke zieht an der Rolle, durch die das Stahlseil verläuft. Zum Glück ist das Seil sehr stark, denn wenn es reißen würde, wäre ich in Sekundenschnelle mausetot. Er sieht mich an und sagt: » Auf die Plätze, fertig, l…«
    Noch ehe er richtig » los« gesagt hat, lässt er die Schlaufe los, und ich denke

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