Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
dann räuspert sich Peter und sagt: » Ich.«
» Jede Wette, dass ich es mit dir aufnehmen kann«, sagt Lynn und dreht mit den Fingerspitzen an dem Ring an ihren Augenbrauen. » Ich bin Zweite, aber ich wette, jeder von uns könnte es mit einem von euch Fraktionswechslern aufnehmen.«
Ich muss beinahe lachen. Wenn ich noch bei den Altruan wäre, würde ich ihre Bemerkung unhöflich und unangemessen finden, aber bei den Ferox sind solche Provokationen nichts Ungewöhnliches. Im Grunde habe ich nichts anderes erwartet.
» Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher«, entgegnet Peter mit blitzenden Augen. » Und wer war bei euch der Erste?«
» Uriah«, sagt sie. » Und ich bin mir meiner Sache sehr sicher. Ist dir eigentlich klar, wie viele Jahre wir uns auf das hier vorbereitet haben?«
Falls sie vorhatte, uns einzuschüchtern, dann ist ihr das gelungen. Mir wird mit einem Mal ganz kalt.
Ehe Peter etwas antworten kann, öffnet Four die Tür und ruft: » Lynn.« Er winkt sie zu sich, und sie geht den Gang entlang, in dem blauen Licht leuchtet ihr kahl geschorener Kopf.
» Also, du bist Erster«, sagt Will zu Uriah.
Uriah zuckt die Schultern. » Ja. Und?«
» Und du meinst nicht, dass es ein bisschen unfair ist, dass du dich dein ganzes Leben lang auf diese Tests vorbereiten konntest, während wir das alles in wenigen Wochen lernen sollen?«, sagt Will und blickt Uriah mit zusammengekniffenen Augen an.
» Wieso denn? Zugegeben, im ersten Teil ging es um körperliche Geschicklichkeit, aber auf den zweiten kann sich niemand vorbereiten«, erwidert Uriah. » Wenigstens hat man mir das so gesagt.«
Keiner antwortet etwas darauf. Schweigend sitzen wir die nächsten zwanzig Minuten da. Ich blicke andauernd auf meine Uhr.
Dann geht die Tür wieder auf und Four ruft den Nächsten auf.
» Peter.«
Jede Minute, die verrinnt, strapaziert meine Nerven wie raues Sandpapier. Allmählich werden wir weniger, jetzt sind nur noch Uriah, Drew und ich übrig. Drew wackelt nervös mit den Beinen und Uriah trommelt mit den Fingern auf die Knie. Ich bemühe mich, ganz still zu sitzen. Aus dem Zimmer am Ende des Gangs höre ich nur ein leises Murmeln, und ich vermute, das ist wieder eines dieser Spielchen, die sie so gern mit uns treiben, um uns bei jeder Gelegenheit Angst einzujagen.
Schließlich kommen auch Uriah und Drew dran, und nach einer gefühlten Ewigkeit geht die Tür auf und Four winkt mich zu sich. » Komm, Tris.«
Ich stehe auf. Mein Rücken ist steif, weil ich mich so lange an die Wand gelehnt habe. Four fasst mich an der Schulter und führt mich in den Raum, dann schließt er die Tür. Als ich sehe, was dort ist, weiche ich unwillkürlich zurück und pralle gegen ihn.
In dem Zimmer steht ein Metallstuhl, der mich sofort an den Eignungstest erinnert. Daneben ist ein Apparat aufgebaut, der mir ebenfalls bekannt vorkommt. In dem Raum gibt es keine Spiegel und nur wenig Licht. Auf einem Tisch in der Ecke steht ein Computermonitor.
» Setz dich.« Four packt mich an den Armen und schiebt mich weiter.
» Was ist das für eine Simulation?« Ich gebe mir Mühe, dass meine Stimme nicht zittert, allerdings ohne großen Erfolg.
» Hast du schon mal den Ausspruch gehört: Blicke deinen Ängsten ins Auge?«, fragt er. » Wir nehmen das wörtlich. In dieser Simulation wirst du lernen, wie man seine Gefühle in einer Furcht einflößenden Lage kontrolliert.«
Mit zittriger Hand streiche ich über meine Stirn. Simulationen sind nicht die Wirklichkeit und dementsprechend keine echte Gefahr, also brauche ich mich logischerweise nicht vor ihnen zu fürchten. Aber meine Angst kommt ganz tief aus dem Bauch, und ich muss meine ganze Willenskraft aufbieten, um zum Stuhl zu gehen, mich hinzusetzen und meinen Kopf auf die Kopfstütze zu legen. Die Kälte des Metalls dringt durch meine Kleider.
» Hast du jemals die Eignungstests durchgeführt?«, frage ich ihn. Er scheint das zu können.
» Nein. Ich gehe den Stiff möglichst aus dem Weg.«
Ich weiß nicht, weshalb man den Altruan aus dem Weg gehen müsste. Den Ferox oder den Candor vielleicht, denn Tapferkeit und Aufrichtigkeit lassen Menschen bisweilen merkwürdige Dinge tun, aber den Altruan?
» Warum?«
» Erwartest du ernsthaft eine Antwort darauf?«
» Warum machst du solche Andeutungen, wenn du nicht danach gefragt werden willst?«
Er fährt mit den Fingern an meinem Hals entlang und ich verkrampfe mich sofort. Eine zärtliche Geste? Nein– er muss mein Haar
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