Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
weiß genau, wie ihr zumute ist. » Wenigstens hat Al jetzt noch eine Chance.«
Al wäre eigentlich rausgeschmissen worden, aber Edwards Weggang hat ihn davor bewahrt. Die Ferox wollen ihm bis zur nächsten Initiationsphase eine Chance geben.
» Wer ist sonst noch weggeschickt worden?«, frage ich.
Wieder zuckt Christina die Schultern. » Zwei Anfänger von den Ferox. Keine Ahnung, wie sie heißen.«
Ich nicke und schaue zur Tafel. Jemand hat die Namen von Edward und Myra durchgestrichen und die Platzierungen vor unseren Namen geändert. Peter ist Erster, Will Zweiter. Ich bin Fünfte. Als wir begannen, waren wir neun. Jetzt sind wir nur noch sieben.
17 . Kapitel
Mittagszeit. Essenszeit.
Ich sitze in einem Gang, in dem ich noch nie zuvor gewesen bin. Ich bin hierhergekommen, weil ich möglichst weit weg vom Schlafsaal sein wollte. Wenn ich mein Bettzeug hierherbringe, muss ich vielleicht nicht mehr im Schlafsaal schlafen. Kann sein, dass ich es mir einbilde, aber dort riecht es immer noch nach Blut, obwohl ich mir die Hände wund geschrubbt habe und jemand heute Morgen ein Bleichmittel auf die Flecken geschüttet hat.
Ich tippe mit dem Finger an meine Nase. Als Einzige freiwillig den Boden zu scheuern, ist etwas, was auch meine Mutter getan hätte. Wenn ich schon nicht bei ihr sein kann, dann kann ich mich wenigstens ab und zu wie sie verhalten.
Ich höre Leute näherkommen, ihre Schritte hallen auf dem Steinfußboden, und ich schaue automatisch auf meine Schuhe. Vor einer Woche habe ich meine grauen Sneakers gegen schwarze eingetauscht, aber die grauen liegen noch in einer Schublade. Ich bringe es nicht übers Herz, sie wegzuwerfen, auch wenn es kindisch ist, an Schuhen zu hängen, weil sie mich auf eine schwer beschreibbare Art meinem Zuhause näher bringen.
» Tris?«
Ich schaue hoch. Vor mir steht Uriah. Er macht den Ferox in seiner Begleitung ein Zeichen, weiterzugehen. Sie werfen sich fragende Blicke zu, sagen jedoch kein Wort.
» Geht’s dir gut?«, fragt er mich.
» Ich habe eine schreckliche Nacht hinter mir.«
» Ja, ich habe schon von Edward gehört.« Uriah blickt den Gang entlang, wo seine Freunde gerade um eine Ecke biegen. Dann fragt er grinsend. » Möchtest du mal hier rauskommen?«
» Wie meinst du das?«, frage ich. » Wo wollt ihr hin?«
» Zu einem kleinen Initiationsritual«, antwortet er. » Komm. Wir müssen uns beeilen.«
Schnell wäge ich meine Möglichkeiten ab. Ich kann entweder hier sitzen bleiben oder ich kann die Gelegenheit nutzen, mich für kurze Zeit davonzustehlen.
Ich stehe auf und trabe neben Uriah her, um die anderen einzuholen.
» Normalerweise dürfen nur Anfänger mitgehen, die ältere Geschwister bei den Ferox haben«, sagt er. » Aber vielleicht merken sie es nicht. Tu einfach so, als gehörtest du dazu.«
» Was machen wir eigentlich?«
» Etwas Gefährliches«, sagt er. Seine Augen funkeln mit einer Besessenheit, wie sie nur Ferox an den Tag legen. Aber statt mich davon abschrecken zu lassen, wie das noch vor ein paar Wochen der Fall gewesen wäre, lasse ich mich davon anstecken. Ein Gefühl der Erregung verdrängt die bleierne Lähmung in mir. Als wir die anderen eingeholt haben, verlangsamen wir unseren Schritt.
» Was macht die Stiff hier?«, fragt ein Junge mit einem Ringpiercing in der Nase.
» Sie hat den Jungen gesehen, dem sie das Auge ausgestochen haben, Gabe«, sagt Uriah. » Gönn ihr die kleine Verschnaufpause, okay?«
Gabe zuckt die Achseln und wendet sich ab. Niemand sonst sagt etwas, obwohl ein paar von ihnen mich schief von der Seite mustern. Die Ferox-Initianten sind wie eine Hundemeute. Wenn ich mich falsch verhalte, werden sie mich nicht mitlaufen lassen. Aber einstweilen bin ich mit von der Partie.
Wir kommen an eine Tunnelgabelung, wo eine Gruppe von älteren Ferox schon auf uns wartet. Es sind zu viele, als dass sie alle mit einem Ferox-Neuling verwandt sein können, aber ein paar Ähnlichkeiten in ihren Gesichtszügen bemerke ich dennoch.
» Gehen wir«, sagt einer der Älteren. Er dreht sich um und verschwindet in einem dunklen Durchgang. Die anderen folgen ihm und wir folgen den anderen. Ich halte mich dicht hinter Uriah und tauche in die Dunkelheit ein. Ich stoße mit dem Fuß gegen Steinstufen, fange mich aber gerade noch rechtzeitig und steige hinauf.
» Das hintere Treppenhaus«, raunt Uriah. » Gewöhnlich abgeschlossen.«
Ich nicke, obwohl er mich gar nicht sehen kann, und steige weiter bis zur letzten Stufe
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