Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
Fraktionsloser schlimmer ist als der Tod.
Ich stehe eine Zeit lang da, bevor die Leute mich bemerken. Die Gespräche verebben. Ich wische meine Handflächen am Saum meines Shirts ab. Hier sind zu viele Augen, die Stille ist zu drückend.
Evelyn räuspert sich laut. » Alle mal herhören, das ist Tris Prior. Ich nehme an, ihr habt gestern schon eine Menge von ihr gehört.«
» Und Christina, Uriah und Lynn«, ergänzt Tobias.
Ich bin ihm dankbar, dass er versucht, die geballte Aufmerksamkeit von mir zu abzulenken, aber es klappt nicht.
Ich stehe noch ein paar Sekunden wie angewachsen im Türrahmen, dann meldet sich ein Mann von den Fraktionslosen zu Wort. Er ist nicht mehr der Jüngste und seine runzlige Haut ist voller Tattoos.
» Solltest du nicht eigentlich längst tot sein?«
Manche Leute lachen und auch ich strenge mich an, doch ich bringe nur ein kleines, schiefes Lächeln zustande.
» Eigentlich schon«, sage ich.
» Aber wir hatten keine Lust, Jeanine Matthews alle Wünsche zu erfüllen«, sagt Tobias. Er steht auf und reicht mir eine Erbsendose– allerdings sind keine Erbsen darin, sondern jede Menge Rührei. Die Aluminiumbüchse wärmt meine Finger.
Er nimmt wieder Platz, ich setze mich neben ihn und schaufle mir Eier in den Mund. Ich habe keinen Hunger, aber mir ist klar, dass ich etwas essen muss, also kaue und schlucke ich trotzdem. Die Essgewohnheiten der Fraktionslosen sind mir inzwischen vertraut, daher reiche ich die Eier an Christina weiter und nehme eine Dose Pfirsiche von Tobias entgegen.
» Warum haben eigentlich alle in Marcus’ Haus ihr Lager aufgeschlagen«, frage ich ihn.
» Evelyn hat ihn rausgeworfen. Sie hat ihn daran erinnert, dass das Haus auch ihr gehört und er es jetzt schon jahrelang in Beschlag genommen hat. Und jetzt sei sie an der Reihe.« Tobias grinst. » Das hat natürlich zu einem Riesenkrach im Vorgarten geführt, aber am Ende hat Evelyn gewonnen.«
Tobias’ Mutter steht in der Ecke des Zimmers, sie unterhält sich mit Peter und isst ebenfalls Eier aus einer Dose. Mein Magen zieht sich zusammen. Tobias redet beinahe ehrfürchtig von ihr. Aber mir gehen ihre Worte einfach nicht aus dem Kopf, als sie behauptete, ich sei nichts weiter als eine kleine Episode in Tobias’ Leben.
» Irgendwo hier gibt es auch noch Brot.« Er nimmt einen Korb vom Kaffeetisch und reicht ihn mir. » Nimm dir zwei Scheiben. Du kannst es brauchen.«
Während ich auf der Brotrinde herumkaue, beobachte ich weiterhin Peter und Evelyn.
» Ich glaube, sie versucht gerade, ihn anzuwerben«, sagt Tobias. » Sie versteht es, das Leben der Fraktionslosen unwiderstehlich reizvoll erscheinen zu lassen.«
» Hauptsache, er lässt sich nicht mehr bei den Ferox blicken. Auch wenn er mein Leben gerettet hat, ich kann ihn trotzdem nicht ausstehen.«
» Ich hoffe, wenn das hier vorbei ist, müssen wir uns über derlei Dinge wie Fraktionsgrenzen nicht mehr den Kopf zerbrechen. Das wird sicher nett.«
Ich erwidere nichts. Ich habe keine Lust, jetzt einen Streit anzufangen– oder ihn darauf hinzuweisen, dass es kein Kinderspiel werden wird, die Ferox und Candor auf die Seite der Fraktionslosen zu ziehen in einem Kreuzzug gegen das Fraktionssystem. Dafür könnte noch ein Krieg nötig sein.
Die Eingangstür öffnet sich und Edward kommt herein. Heute trägt er eine Augenklappe mit einem aufgemalten blauen Auge, dessen Lid halb geschlossen ist. Die Wirkung des überdimensionalen Auges im Kontrast zu seinen sonst so ebenmäßigen Zügen ist bizarr und komisch zugleich.
» Eddie!« ruft jemand zur Begrüßung. Aber Edwards gesundes Auge ist bereits auf Peter gerichtet. Er stapft quer durch das Zimmer auf ihn zu, wobei er jemandem beinahe eine Dose mit Essen aus den Händen schlägt. Peter drängt sich in den Schatten des Türrahmens, als wolle er sich unsichtbar machen.
Edward kommt wenige Fingerbreit vor Peter zum Stehen, dann holt er wie zum Schlag aus. Peter zuckt so heftig zurück, dass er mit dem Kopf gegen die Wand prallt. Edward grinst und die rundherum versammelten Fraktionslosen lachen.
» Da ist aber jemand nicht ganz so mutig wie sonst«, sagt Edward. Dann wendet er sich an Evelyn. » Pass auf, dass du ihm keine Werkzeuge in die Hand gibst. Man weiß nie, was er damit anstellt.«
Während er redet, reißt er Peter die Gabel aus der Hand.
» Gib sie mir zurück«, sagt Peter.
Edward presst seine freie Hand gegen Peters’ Kehle und drückt die Zinken der Gabel gegen Peters Adamsapfel.
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