Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
stößt er sich vom Boden ab, klammert sich an die Rollstuhlgriffe und zusammen sausen sie die Straße hinunter. Shauna kreischt, Zeke lacht.
An der nächsten Kreuzung biege ich nach links ab und laufe über den verwitterten Gehweg auf das Gebäude zu, in dem die Altruan früher ihre monatlichen Fraktionstreffen abgehalten haben. Obwohl mein letzter Besuch dort eine Ewigkeit her zu sein scheint, finde ich mich sofort zurecht. Einen Straßenblock nach Süden, zwei nach Westen.
Die Sonne versinkt hinter dem Horizont. Im Abendlicht schwinden die Farben, sodass alle Gebäude in der Umgebung grau wirken.
Die Fassade des Hauptquartiers der Altruan ist nur ein schlichtes Betonrechteck, wie bei allen anderen Gebäuden des Bezirks. Aber als ich die Eingangstür aufstoße, heißen mich vertraute Dielenböden und die im Quadrat aufgestellten Reihen der Holzbänke willkommen. In der Mitte ist ein Dachfenster, das ein Viereck aus orangenem Sonnenlicht auf den Boden wirft. Der einzige Schmuck im ganzen Raum.
Ich lasse mich auf der alten Bank meiner Familie nieder. Früher habe ich immer bei meinem Vater gesessen, daneben Caleb mit meiner Mutter. Jetzt fühle ich mich, als sei ich die Einzige, die noch übrig geblieben ist. Die letzte Prior.
» Nett hier, nicht wahr?« Marcus kommt herein, setzt sich mir gegenüber und faltet die Hände in seinem Schoß. Der Strahl des Sonnenlichts fällt zwischen uns.
Ein großer Bluterguss zieht sich über sein Kinn, wo Tobias ihn geschlagen hat. Sein Haar ist noch feucht vom Waschen.
» Ja, es ist schön«, sage ich und richte mich auf. » Was treibst du hier?«
» Ich habe dich hier reinkommen sehen.« Er mustert seine Fingernägel ausgiebig. » Und ich möchte mit dir über die Daten sprechen, die Jeanine Matthews gestohlen hat.«
» Was, wenn du zu spät kommst? Wenn ich längst weiß, worum es geht?«
Marcus hebt den Kopf, seine dunklen Augen verengen sich zu Schlitzen. Obwohl Tobias die Augen seines Vaters hat, könnte er nie jemanden so stechend anblicken. » Das kann nicht sein.«
» Woher willst du das wissen?«
» Ich weiß es. Und zwar weil ich gesehen habe, was mit den Menschen passiert, wenn sie die Wahrheit erkennen. Sie wirken, als hätten sie vergessen, wonach sie suchten, und irren ziellos herum, um ihre Erinnerung wieder zu erlangen.«
Ein Frösteln kriecht meinen Rücken hinauf und an den Armen wieder hinab. Ich bekomme Gänsehaut.
» Zumindest weiß ich, dass Jeanine in Kauf genommen hat, eine halbe Fraktion auszulöschen, nur um an die Daten zu gelangen, also müssen sie unglaublich wichtig sein.« Ich halte inne, denn ich weiß noch etwas, es ist mir gerade erst eingefallen.
Kurz bevor ich Jeanine attackiert habe, sagte sie noch etwas.
» Hier geht es nicht um dich! Und auch nicht um mich!«
Damit meinte sie die Dinge, die sie mit mir vorhatte. Ihre Suche nach einer Simulation, die bei mir funktionieren würde. Bei den Unbestimmten.
» Ich weiß, dass es irgendetwas mit den Unbestimmten zu tun hat«, platze ich heraus. » Ich weiß, dass es Daten darüber sind, was jenseits des Zauns ist.«
» Das heißt noch lange nicht, dass du weißt, was jenseits des Zauns ist.«
» Na schön, hast du vor, es mir zu sagen, oder willst du, dass ich springe wie ein Hund nach der Wurst?«
» Ich bin nicht hergekommen, um wieder endlosen Streit anzufangen. Und nein, ich habe nicht vor, es dir zu sagen. Aber nicht, weil ich es nicht will, sondern weil ich es nicht in Worte fassen kann. Du musst es selbst gesehen haben.«
Während er spricht, fällt mir auf, wie das Licht von Gelb zu einem dunkleren Orange wechselt und tiefere Schatten auf sein Gesicht wirft.
» Womöglich hat Tobias recht«, sage ich. » Dir macht es Spaß, der Einzige zu sein, der es weiß. Dir gefällt es, dass ich es nicht weiß. Das macht dich wichtig, denkst du. Das ist der Grund, warum du nicht mit der Sprache herausrückst, und nicht etwa, weil man es nicht in Worte fassen könnte.«
» Das ist nicht wahr.«
» Und woher soll ich das wissen?«
Marcus fixiert mich und ich ihn.
» Eine Woche vor dem Simulationsangriff haben die Anführer der Altruan beschlossen, dass die Zeit reif ist, die Daten dieser Datei allen zugänglich zu machen. Jedem in der ganzen Stadt. Wir hatten bereits einen Termin dafür angesetzt. Doch dann kam der Simulationsangriff. Aus naheliegenden Gründen waren wir nicht in der Lage, unseren Plan auszuführen.«
» Wollte sie verhindern, dass ihr aufdeckt, was jenseits des
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