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Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2

Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2

Titel: Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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emporsteige und meine Muskeln allmählich brennen und meine Lunge nach Luft ringt, fühle ich mich zum ersten Mal seit Tagen erleichtert.
    Ich bin gut, wenn es darum geht, lange Strecken auf ebenem Boden zu laufen, aber Treppensteigen ist nicht mein Ding. Als ich am zwölften Stockwerk vorbeikomme, massiere ich einen Krampf aus meinem Oberschenkel und versuche, wieder zu Atem zu kommen. Ich grinse über das heftige Brennen in meinen Beinen und in meiner Brust, ich treibe den Schmerz mit Schmerz aus, auch wenn es nicht viel nützt.
    Im achtzehnten Stock fühlen sich meine Beine an wie Gummi. Ich schleppe mich zum Befragungsraum. Jetzt ist er leer, aber die Bänke stehen immer noch so wie vorher, sind wie in einem Amphitheater aufgestellt, und auch der Stuhl, auf dem ich gesessen habe, ist noch da. Hinter einer Wolkenwand schimmert der Mond.
    Ich lege die Hände auf die Stuhllehne. Sie ist glatt und aus Holz und sie knarzt ein bisschen. Komisch, dass etwas so Schlichtes dazu beitragen kann, die Beziehung, die mir am meisten bedeutet, zu zerstören und eine andere Beziehung total zu ruinieren.
    Schlimm genug, dass ich Will getötet habe und mir nicht schnell genug etwas anderes eingefallen ist. Jetzt muss ich mit dem Urteil aller und meinem eigenen leben und auch damit, dass nichts– nicht einmal ich selbst– je wieder so sein wird wie früher.
    Die Candor singen das Loblied der Wahrheit, aber sie sagen einem nicht, wie teuer man diese Wahrheit erkaufen muss.
    Die Lehne schneidet in meine Handflächen, ich habe gar nicht gemerkt, wie sehr ich mich daran festgeklammert habe. Ich starre den Stuhl lange an, dann nehme ich ihn und lege ihn mit den Stuhlbeinen nach oben auf meine gesunde Schulter, blicke mich suchend nach einer Leiter oder einer Treppe um, auf die ich klettern könnte. Aber da sind nur die Bänke.
    Ich gehe zur obersten Sitzreihe hinauf und hebe den Stuhl über den Kopf. So reiche ich knapp bis zum Sims eines der Fenster. Ich hüpfe hoch und schiebe den Stuhl dabei auf den Sims hinauf. Meine Schulter tut weh– ich sollte meinen Arm wirklich schonen–, aber das ist mir egal.
    Ich springe, halte mich am Sims fest und stemme mich hoch. Ich schwinge das Bein hinauf und ziehe mich dann ganz hoch. Auf dem Sims bleibe ich für einen Moment schwer atmend liegen.
    Ich stehe auf und stelle mich in den Bogen, der einmal ein Fenster gewesen war, dann schaue ich auf die Stadt hinab. Der tote Fluss windet sich um ein paar Gebäude, dann verschwindet er. Die Brücke mit ihrer abblätternden roten Farbe spannt sich über den Matsch. Auf der anderen Seite stehen Häuser, die meisten sind leer. Kaum zu glauben, dass einmal genug Menschen in der Stadt gewohnt haben, um alle diese Häuser zu füllen.
    Einen Moment lang lasse ich die Erinnerung an meine Befragung zu. An Tobias’ ausdruckslose Miene und seine Wut, die er meinetwegen unterdrückt hat. An Christinas leere Blicke. An das Flüstern. » Danke für deine Aufrichtigkeit.« Das sagt sich leicht, wenn einen das, was ich getan habe, nicht selbst betrifft.
    Ich nehme den Stuhl und werfe ihn über den Fenstersims. Unwillkürlich stoße ich einen leisen Schrei aus. Er schwillt an, wird gellend laut, und ich stehe auf einem Sims des Hauptquartiers der Candor und schreie mich heiser, während der Stuhl in die Tiefe fällt. Dann schlägt er auf und zersplittert wie ein morsches Skelett. Ich setzte mich auf den Sims, lehne mich an den Fensterrahmen und schließe die Augen.
    Und dann denke ich an Al.
    Ich frage mich, wie lange Al vor dem Abgrund der Grube auf dem Ferox-Gelände stand, bevor er sich hinunterstürzte.
    Er hat sicher lange dort gestanden und ist in seinen Gedanken all die schrecklichen Dinge durchgegangen, die er getan hat– dass er mich beinahe umgebracht hat, zum Beispiel– und auch die heldenhaften, tapferen Taten, die er unterlassen hat, bis er sich schließlich eingestehen musste, müde zu sein. Nicht nur müde zu leben, sondern auch müde zu sein. Müde, Al zu sein.
    Ich mache die Augen auf und blicke auf die Stuhltrümmer, die ich undeutlich auf dem Gehweg unter mir erkennen kann. Zum ersten Mal habe ich so etwas wie Verständnis für Al. Ich bin müde, Tris zu sein. Ich habe schlimme Dinge getan. Ich kann sie nicht mehr ungeschehen machen und sie sind jetzt ein Teil von mir. Die meiste Zeit habe ich das Gefühl, aus nichts anderem mehr zu bestehen.
    Ich beuge mich vor, in die frische Luft hinaus, halte mich mit einer Hand an der Seite des Fensters

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