Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
stehen hier jede Menge Etagenbetten. Die versammelten Männer, Frauen und Kinder sind alle Ferox, kein einziger Candor ist zu sehen.
Lynn führt mich auf die linke Seite des Raums zwischen zwei Bettreihen. Sie bleibt vor einem Jungen stehen, der auf einer der unteren Pritschen sitzt– er ist ein paar Jahre jünger als wir und versucht gerade, seine verknoteten Schnürsenkel zu entwirren.
» Hec, du musst dir einen anderen Schlafplatz suchen.«
» Was? Kommt nicht infrage«, sagt er, ohne aufzublicken. » Ich werde nicht schon wieder umziehen, nur weil du mit deiner blöden Freundin die halbe Nacht lang quatschen willst.«
» Sie ist nicht meine Freundin«, schnauzt ihn Lynn an und fast hätte ich gelacht. » Hec, das ist Tris. Tris, das ist mein kleiner Bruder Hector.«
Als er meinen Namen hört, fährt sein Kopf hoch und er starrt mich mit offenem Mund an.
» Nett, dich kennenzulernen«, begrüße ich ihn.
» Du bist eine Unbestimmte«, platzt er heraus. » Meine Mutter hat gesagt, dass ich dir aus dem Weg gehen soll, weil du vielleicht gefährlich bist.«
» Ja. Sie ist eine große, gefährliche Unbestimmte und kann nur mit der Kraft ihrer Gedanken deinen Kopf zum Explodieren bringen«, sagt Lynn und pikst ihn mit dem Zeigefinger zwischen die Augen. » Sag bloß, du glaubst diesen Kinderkram, den man sich über die Unbestimmten erzählt.«
Er wird knallrot und schnappt sich ein paar Sachen, die auf einem Haufen auf dem Bett liegen. Ich komme mir gemein vor, weil er wegen mir schon wieder umziehen muss, bis ich sehe, dass er seine Sachen nur ein paar Pritschen weiter wieder hinwirft. Er hat es also nicht weit.
» Ich hätte auch da drüben schlafen können«, sage ich.
» Ja, ich weiß.« Lynn grinst. » Er hat es verdient. Er hat Uriah direkt ins Gesicht gesagt, dass Zeke ein Verräter ist. Was natürlich stimmt, aber er hat keinen Grund, sich deswegen so aufzuführen. Ich glaube, die Candor färben auf ihn ab. Er meint, er könne einfach sagen, was er will. Hey, Mar!«
Marlene reckt ihren Kopf um die Ecke eines Betts und grinst mich breit an.
» Hey, Tris!«, begrüßt sich mich. » Herzlich willkommen. Was gibt’s, Lynn?«
» Kannst du einige der jüngeren Mädchen dazu überreden, ein paar Kleidungsstücke abzugeben?«, fragt Lynn. » Nicht nurShirts. Jeans, Unterwäsche, vielleicht auch ein Paar Schuhe?«
» Wird gemacht«, antwortet Marlene.
Ich lege mein Messer neben die unterste Koje.
» Von welchem Kinderkram hast du gesprochen?«, frage ich.
» Von den Unbestimmten. Menschen mit außergewöhnlichenmentalen Fähigkeiten? Also, ich bitte dich.« Sie zucktdieAchseln. » Ich weiß, dass du daran glaubst. Ich aber nicht.«
» Und wie erklärst du dir dann, dass ich während der Simulationen hellwach war?«, frage ich. » Und dass ich mich einer anderen Simulation völlig entziehen konnte?«
» Ich glaube, die Anführer suchen die Leute zufällig aus und verändern dann für sie die Simulation.«
» Warum sollten sie das tun?«
Sie wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht herum. » Reines Ablenkungsmanöver. Man macht sich ständig Gedanken über die Unbestimmten– so wie meine Mutter zum Beispiel–, dass man gar nicht mitkriegt, was die Anführer so alles treiben. Das ist nur eine andere Form der Fernsteuerung.«
Sie wirft mir von der Seite einen Blick zu und tritt mit der Schuhspitze gegen den Marmorfußboden. Ich würde gern wissen, ob sie sich daran erinnert, wie sie während des Simulationsangriffs selbst ferngesteuert gewesen war.
Ich habe mich so darauf konzentriert, was den Altruan zugestoßen ist, dass ich darüber die Ferox beinahe vergessen hätte. Hunderte von Ferox sind nach der Simulation wieder aufgewacht und haben das Kainsmal auf ihrer Stirn gehabt. Dabei war es nicht einmal ihre freie Entscheidung gewesen, zu Mördern zu werden.
Ich ziehe es vor, nicht mit Lynn zu streiten. Wenn sie an eine Verschwörung der Regierung glauben will, dann werde ich sie wohl kaum umstimmen. Sie muss die Wahrheit selbst herausfinden.
» Seht mal, was ich da habe«, sagt Marlene und kommt auf uns zu. Sie trägt einen Riesenstapel schwarzer Kleidung, hinter dem sie fast verschwindet und den sie mir mit einem stolzen Blick reicht. » Deiner Schwester habe ich so ein schlechtes Gewissen eingeredet, dass sie mir sogar Kleider überlassen hat, Lynn. Genauer gesagt drei.«
» Du hast eine Schwester?«, frage ich Lynn.
» Ja. Sie ist achtzehn. Sie hat zusammen mit Four bei den Ferox
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