Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
über Kopf mitten in eine Armee von Ferox-Verrätern stürze?
Tief in meinem Inneren kenne ich die Antwort. Ich bin wieder einmal tollkühn. Ich werde wahrscheinlich nichts erreichen. Ich werde wahrscheinlich sterben.
Und was noch beunruhigender ist: Es macht mir nichts aus.
» Sie werden sich zu den obersten Stockwerken durchkämpfen«, keuche ich. » Also gehst du am besten… in die dritte Etage. Sag den anderen… sie sollen das Stockwerk räumen. Aber leise.«
» Und wo gehst du hin?«
» In den zweiten Stock.« Ich drücke mit meiner Schulter die Tür zur zweiten Etage auf. Mein Plan steht fest, ich will die Unbestimmten suchen.
Während ich den Gang entlang gehe und über bewusstlose Menschen in schwarz-weißer Kleidung steige, muss ich an einen Vers denken, den die Kinder der Candor immer gesungen haben, wenn sie dachten, dass niemand ihnen zuhört.
Die Ferox sind die grausamsten der fünf,
Sie reißen sich gegenseitig in Stücke.
Nie ist mir dieser Spruch so treffend vorgekommen wie heute, nachdem ich den Ferox-Verrätern dabei zusehen musste, wie sie mit einer Simulation sämtliche Menschen hier außer Gefecht gesetzt haben– und dass, obwohl es noch nicht einmal einen Monat her ist, dass ein ganz ähnliches Simulationsprogramm sie dazu zwang, wahllos Altruan abzuschlachten.
Wir sind die einzige Fraktion, die sich in zwei feindliche Lager aufspalten kann. Die Amite würden niemals auch nur einen Zwist erlauben; keiner von den Altruan wäre egoistisch genug; die Candor würden miteinander diskutieren, bis sie alle eine Lösung gefunden hätten; nicht einmal die Ken würden etwas so Irrationales und Unlogisches tun. Wir sind wirklich die grausamste Fraktion von allen.
Ich stolpere über einen ausgestreckten Arm und über eine Frau mit aufgerissenem Mund und summe leise den Anfang des nächsten Verses vor mich hin:
Die Ken sind die kältesten der fünf,
Denn Wissen fordert seinen Preis.
Ich frage mich, wann genau Jeanine auf die Idee gekommen ist, dass die Ken und die Ferox zusammen eine tödliche Kombination bilden.
Die vereinte Kraft von Brutalität und eiskalter Logik schreckt vor keiner Tat mehr zurück. Auch nicht davor, eineinhalb Fraktionen einfach so zu betäuben.
Beim Gehen lasse ich den Blick über die reglosen Körper schweifen, halte Ausschau nach unregelmäßigen Atemzügen, zuckenden Augenlidern, nach Hinweisen darauf, dass die Menschen, die vor mir auf dem Boden liegen, sich nur bewusstlos stellen. Aber bis jetzt sind alle Atemzüge gleichmäßig, nirgendwo bewegt sich ein Augenlid. Vielleicht ist tatsächlich niemand von den Candor unbestimmt.
» Eric!«, höre ich jemanden aus der Eingangshalle rufen. Ich halte den Atem an, als Eric in meine Richtung kommt. Ich versuche, mich nicht zu rühren. Bei der kleinsten Bewegung wird er mich entdecken. Und dann wird er mich wiedererkennen, das weiß ich. Ich starre auf den Boden, alle meine Muskeln sind so angespannt, dass ich zu zittern beginne. Schau nicht in meine Richtung, schau nicht in meine Richtung, schau nicht in meine Richtung –
Eric stapft an mir vorbei und geht in den Gang links von mir; ich sollte so schnell wie möglich weiter, aber die Neugier treibt mich dazu, Eric zu folgen. Es hat sich dringend angehört.
Und dann sehe ich einen Ferox-Verräter über einer knienden Frau stehen. Sie trägt eine weiße Bluse und einen schwarzen Rock, die Hände hält sie hinter dem Kopf verschränkt. Sogar von der Seite betrachtet, wirkt Erics Grinsen gierig.
» Unbestimmt«, sagt er. » Gut gemacht. Bring sie zu den Aufzügen. Wir entscheiden dann später, wen wir sofort töten und wen wir mitnehmen.«
Der Soldat packt die Frau an ihrem Pferdeschwanz und schleift sie hinter sich her in Richtung der Aufzugtüren. Sie schreit auf, als sie auf die Füße gerissen wird, dann taumelt sie vornübergebeugt hinter dem Ferox her. Ich will schlucken, aber irgendwie scheint ein riesiger Wattebausch in meiner Kehle zu stecken.
Eric geht weiter den Gang entlang, weg von mir. Ich versuche, nicht hinzusehen, wie die Candor an mir vorbeistolpert; der Soldat zieht sie immer noch an den Haaren hinter sich her. Aber inzwischen habe ich gelernt, mich aus dem Klammergriff der Panik zu winden; ich lasse mich für ein paar Augenblicke vom Entsetzen packen, dann zwinge ich mich, zu handeln.
Eins … zwei … drei …
Mit neuer Entschlossenheit setze ich mich in Bewegung. Es wäre Zeitverschwendung, jeden hier unter die Lupe zu nehmen, zu beobachten,
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