Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
nicht dazu durchringen.
» Tori, Harrison und ich haben beschlossen, die Sicherheitsmaßnahmen hier auf dem Gelände zu erhöhen. Wenn sich erst mal alle darüber im Klaren sind, dass sich so ein Angriff jederzeit wiederholen kann, können wir hoffentlich verhindern, dass noch einmal etwas passiert«, sagt Tobias. » Falls das nicht funktionieren sollte, können wir uns immer noch etwas anderes ausdenken. So und nicht anders machen wir es. Niemand handelt auf eigene Faust. Okay?«
Dabei blickt er mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
» Okay«, sage ich und weiche seinem Blick aus.
Nach dem Abendessen will ich in den Schlafsaal, in dem ich früher geschlafen habe, aber ich bringe es irgendwie nicht über mich, die Türschwelle zu überqueren. Stattdessen wandere ich durch die Gänge, streiche mit den Fingerspitzen an den Steinwänden entlang und lausche auf das Echo meiner Schritte.
Ohne es zu wollen, komme ich an dem Trinkbrunnen vorbei, an dem mich Peter, Drew und Al damals angegriffen haben. Ich habe Al an seinem Geruch erkannt– einem Duft nach Zitronengras, den ich mir immer noch ins Gedächtnis rufen kann. Jetzt verbinde ich diesen Geruch nicht mehr mit einem meiner früheren Freunde, sondern mit dem Gefühl der Ohnmacht, das ich verspürte, als sie mich zum Abgrund schleiften.
Ich beschleunige meine Schritte, reiße meine Augen weit auf, damit die Bilder des Angriffs vor meinem inneren Auge verschwinden. Ich muss weg von hier, weit weg von dem Ort, wo mich einer meiner Freunde angegriffen hat, wo Peter auf Edward eingestochen hat. Weg von dem Ort, von dem aus die Armee meiner Freunde mit leeren Augen zum Viertel der Altruan losmarschiert ist und dieser ganze Wahnsinn seinen Anfang genommen hat.
Ich gehe ohne weitere Umwege zum einzigen und letzten Ort, wo ich mich immer sicher gefühlt habe, zu Tobias’ kleinem Zimmer. Als ich die Türschwelle erreiche, fühle ich mich sofort ruhiger.
Die Tür ist nur angelehnt. Ich drücke sie mit dem Fuß auf. Er ist nicht da, aber ich bleibe trotzdem. Ich setze mich auf sein Bett und wickle mich in die Decke, drücke mein Gesicht in den Stoff und atme den Geruch tief ein. Der vertraute Duft ist nur noch ein leiser Hauch, so lange hat er hier nicht mehr geschlafen.
Die Tür öffnet sich und Tobias kommt herein. Ich lasse die Arme sinken und die Decke rutscht auf meinen Schoß. Wie soll ich ihm erklären, warum ich hier bin? Eigentlich bin ich ja wütend auf ihn.
Sein Gesichtsausdruck ist nicht mehr finster, aber seine schmalen Lippen sagen mir, dass er noch wütend auf mich ist.
» Sei kein Dummkopf«, sagt er.
» Warum sollte ich ein Dummkopf sein?«
» Du hast vorhin gelogen. Du hast gesagt, dass du nicht zu den Ken gehst, und das war gelogen. Du bist ein Dummkopf, wenn du mit dem Gedanken spielst, zu den Ken zu gehen. Also, hör auf damit.«
Ich lege die Decke hin und stehe auf.
» Tu nicht so, als ob alles so einfach wäre«, sage ich. » Es ist das einzig Richtige, und das weißt du genauso gut wie ich.«
» Musst du dir gerade diesen Augenblick aussuchen, um dich als Altruan aufzuspielen?« Seine Stimme erfüllt das ganze Zimmer und jagt mir Schauder über den Rücken. Sein Wutausbruch kommt viel zu plötzlich. Das passt so gar nicht zu dem Tobias, den ich kenne. » Die ganze Zeit über hast du behauptet, du bist viel zu egoistisch für die Altruan, und jetzt, wo dein Leben auf dem Spiel steht, willst du plötzlich die Heldin spielen? Was ist los mit dir?«
» Was ist los mit dir? Menschen sind gestorben. Sie sind einfach vom Dach gesprungen! Und ich habe es in der Hand, ob so etwas noch mal passiert oder nicht!«
» Du bist viel zu wichtig, um einfach… zu sterben.« Er schüttelt den Kopf, aber er blickt mich kein einziges Mal an– seine Augen flackern an mir vorbei, über die Wand hinter mir, an die Decke über mir, aber nie zu mir.
Ich bin viel zu überwältigt, um noch länger zornig zu sein.
» Ich bin nicht wichtig. Die anderen werden sehr gut ohne mich zurechtkommen«, sage ich.
» Die anderen interessieren mich nicht . Was ist mit mir?«
Er vergräbt den Kopf in seinen Händen, bedeckt seine Augen. Seine Finger zittern.
Dann kommt er mit zwei langen Schritten durch das Zimmer auf mich zu und presst seine Lippen auf meine. Die sanfte Berührung lässt mich die vergangenen Monate vergessen, und ich bin wieder das Mädchen, das auf den Felsen über dem Abgrund sitzt, die Knöchel nass von der Gischt, und das ihn zum ersten Mal küsst.
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