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Die Bestimmung

Die Bestimmung

Titel: Die Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Kellen
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hatte die altehrwürdige Hansestadt Hamburg noch nicht gesehen. Ein über 2400 Jahre altes karthagisches Kriegsschiff ruderte mitten durch ihre Innenstadt und niemand sah es wirklich. Denn es war Magie. Verwirrend wie der Wind, scheu wie die Wölfe. Kaum erkannt, schon Erinnerung und dann nur noch ... Nebel.
    Es brach durch sechs steinerne Brücken, ohne auch nur den Ruderschlag zu verlangsamen, es fuhr an den Säulen der Arkaden vorbei, nur von einem dumpfen Takt angetrieben, der in der Dunkelheit verflog. Es rammte mit seiner Bronze und seinem Eisen die Passage des Jungfernstiegs und zerteilte ihn einfach. Trümmer fielen ins Wasser und ließen hohe Wellen aufspritzen, deren Klatschen zwischen den Häuserschluchten hallten. Schnitt sich durch die Binnenalster, vorbei an der ewig weiß in die Höhe schießenden Fontäne der kleinen Plattform. Ruderte weiter.
    Die Lombards-und Kennedybrücke stöhnten nicht einmal auf, als die Pentere diese mit ihrem Bug wie eine hölzerne Klinge durchschnitt. Autoreifen quietschten, Menschen schrien, ein dunkler Jeep knallte ungebremst mitten in die Ruder, sie zerstießen die Frontscheiben, bohrten sich in den Kühler und spießten ihn regelrecht auf. Als wäre nichts gewesen, nahmen die Ruder in ihrer Abwärtsbewegung den Wagen einfach mit sich hinab, und als sie wieder emporkamen, war er nicht mehr da. Die Brücke sah aus, als hätte man sie mit einer gigantisch breiten Fräse zerteilt, und das Schiff fuhr seelenruhig mitten auf die Außenalster.
     
    Nilah fuhr mit dem Kopf herum und sah, wie sich die Gestalt über das fehlende Brückenelement beugte, etwas, das wie weißer Staub aussah, aus einem Beutel nahm und ins Wasser schüttete. Bruchteile später hörte sie ein tiefes Knacken. Sie bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich die Farbe des Wassers heller färbte. Dann sprang das Wesen einfach von der Brücke und landete mitten im Wasser, blieb aber auf ihm stehen. Für einen Moment blickte es zu Boden, dann sah es wieder auf und fixierte sie. Eine große Sichel glitzerte in seiner Faust. Sofort begann das Wesen zu laufen, direkt auf sie zu. Wie ein gemauerter heller Schutzweg verfärbte sich das schwarze Wasser und knisterte über die Alster hinweg. Denn unter jedem Schritt der Gestalt gefror es zu Eis und hallte knirschend in die Nacht. Aber das hier war nicht irgendein Teich, das hier war ein richtig großer See mitten in der Stadt, auf dem tagsüber gesegelt wurde. Gesegelt!
    «Links!»
    Alles flog an ihr vorbei. Alles erschien wieder! Die hohen Lichter des Plaza Hotels, die von blassem Orange umgebenen Türme der Kirchen, vor denen sich dunkle Wolken abhoben, die Silouette des Fernsehtums. So weit weg, so weit entfernt. Sie mussten schneller machen. Ungefähr bis zur Mitte des ewig langen Ufers. Aber wie schätzte man eine Mitte in der Dunkelheit ab?
    «Schneller!»
    Sie glaubte, ihre Arme würden jeden Moment mit ins Wasser gleiten, ihr Atem schlug Purzelbäume, Hamburg drehte sich um sie herum wie ein Kreisel, dampfender Atem, ihre Knie fühlten sich taub an, schlugen gegen die vordere Klappe und taten noch mehr weh. Die vordere Klappe? Sie sah, wie das Wesen weiter auf sie zu donnerte. Die Klappe! Wie wild fummelte sie an der Öse, welche diese verschloss. Sie waren sooft auch auf der Ostsee damit gefahren. Wie hatte sie das nur vergessen können? Ihre nassen Hände glitten immer wieder von dem Metallverschluss. Dann war sie auf, und sie griff blind hinein.
    «Links, Liran! Mehr links!», brüllte sie.
    Der Griff fühlte sich rau und kalt an. Sie zog die Pistole heraus, drückte den Lauf hinunter, wirbelte herum und versuchte das Gleichgewicht zu halten. Dabei starrte sie auf die Gestalt, die mit weit ausholenden Armen immer näher kam, blickte für einen Augenblick bittend auf die messingfarbene Patrone im Lauf, ließ die Waffe einrasten und schrie: «Ruhig! Bitte!»
    Das Kanu verlangsamte seinen Vorwärtstrieb sofort und der Krieger stabilisierte es so gut es ging. Schwankend lag es mitten auf der Alster, während Nilah den Arm ausstreckte und zielte.
    «Kopf 'runter!» Der Krieger beugte sich sofort hinab. Sie hörte sein Stöhnen nicht, sah nicht das von Schmerzen verzerrte Gesicht. Sie starrte nur noch auf dieses Ding, das da, vom gefrorenem Wasser getragen, auf sie zu rannte. Ihr Arm fixierte das Ziel. Sie atmete aus, als sie rechts von sich einen riesigen Schatten wahrnahm. Nur in den Augenwinkeln spürte sie ihn. Ihr Zeigefinger krümmte sich und die

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