Die Bestimmung
dem Vorhang und lauschte aufgeregt, bis sie plötzlich hastige Schritte vernahm. Sie hielt die Luft an, als könne sie sich damit unsichtbar machen, doch dann hörte sie eine Stimme, die in ihren Ohren so tief und unendlich vertraut klang.
«Nilah?»
Ihr Name. So vollständig ausgesprochen, wie sie es mochte, so nah, dass es sie beruhigte, so voller Gewissheit, endlich aus diesem Albtraum herauszukommen. Kurz darauf streckte Liran seinen Kopf durch den niedrigen Zelteingang. Sie lugte hinter ihrem Vorhang hervor. Doch das Gesicht, das sie erblickte, erschreckte sie. Es war voller Kratzer und Schnitte, aus denen Blut lief. Es sah aus wie eine bizarre Kriegsbemalung. Lirans schwarzes Haar klebte auf seinen Wangen, aber in seinen Augen glühte ein Geist, der bisher nicht in ihm zu erahnen gewesen war. Endlich machte Nilah ein paar unsichere Schritte und trat auf den Zelteingang zu. Ihr Bauchnabel tat weh.
«Bist Du das, Liran?»
Der Krieger schien überrascht.
«Was ist? Erkennst Du mich etwa nicht?»
Doch dann fiel sie ihm in die Arme und drückte sich so fest an ihn, wie sie es nur konnte. Zögerlich erst, doch dann drängender spürte sie, wie Liran sich zu lösen versuchte.
«Wir müssen hier 'raus, und zwar schnell», flüsterte er in ihr Ohr. Nilah ließ endlich locker. Jetzt würde alles gut werden. Ihr Beschützer würde immer für sie da sein. Immer! Nichts konnte ihr geschehen, bei dem er ihr nicht zur Seite stehen würde.
Der Funkauslöser war scharf und schwer wie das Gewicht der Taten, die er mit ihm auszuführen gedachte. In einem stillen Seitengang war er auf einen Dämon gestoßen. Anscheinend fliehend vor dem drohenden Untergang, war er direkt in ihn hineingelaufen. Doch ebenso wie der Herr einst Konstantin erschienen war und dieser mit den Zeichen der neuen Welt im Herzen und auf Schilden gemalt einen großen Sieg errungen hatte, so hatte auch er die elende Bestie erlöst mit dem seinen. Mit einem Gladius der ersten römischen Legion, das den Segen des Allmächtigen in sich trug.
Er ging weiter und schlich durch die Trakte, die allesamt von Kampfspuren zeugten. Durch das Restaurant, wo seine Stiefel über Scherben knirschten, durch die dunklen Vorräume, hinaus auf den Treppenabsatz der Eingangshalle. Gemessenen Schrittes bewegte er sich nach rechts, die Stufen hinauf, dort wo die Boote hingen, wo sie unter dem Deckmantel der Wissenschaft geradezu verehrt wurden. Für sie alle würde schon bald die Stunde der Wahrheit hereinbrechen.
Mit einem Lächeln auf den Lippen bog er um die Kurve, welche die Treppe beschrieb, und dann wandelte sich dieses Lächeln in seinem Gesicht zu einem triumphierenden Siegeswillen! Denn belohnt wurden nur die Tapferen. Da war sie, die Dämonin, und neben ihr, mit rotschwarzem Antlitz, die Fratze des Teufels. Mit einer kurzen Bewegung drückte er den Funkauslöser, ließ ihn zu Boden fallen, erhob das Gladius, hakte seinen Zeigefinger in die Drahtschlaufe, mit der er die Zündkapsel im Sprengstoffgürtel aktivieren konnte, und rannte mit einem hohen, gellenden Schrei die letzten Stufen dieses verfluchten Tempels empor!
Nilah stolperte mehr neben ihm, als mitzulaufen, und so zog Liran sie mehr, als dass er sie stützte. Fast war er versucht, sie einfach über die Schulter zu werfen und zu tragen, wie er es schon einmal getan hatte. Der Geruch, den Dahi ihm meldete, war mittlerweile so intensiv, dass Liran sich zügeln musste, überhaupt noch Luft zu holen, um ihr aufgeregtes, heiseres Knurren und Jaulen in seinem Innern zu verdrängen. Er wusste selbst, dass etwas nicht stimmte.
Zusammen hasteten sie an einem langen Glashaus vorbei, das Tor vor Augen, als jeder Schritt, den er plötzlich tat, sich dagegenstemmte. Es war, als würde Liran plötzlich durch ein Moor stapfen oder Gewichte an den Beinen haben. Doch er zerrte sich vorwärts, weiter , schrie er in seinen Körper, verdammt noch 'mal – weiter!
Als er mit Nilah im Arm aus dem Tor herauskam und wankend das Gleichgewicht suchte, da sah er ihn! Aus den Augenwinkeln, oder war es Dahi, die ihren Kopf wendete und es in ihrer untrüglichen Nase erkannte, war es die Eule, die, so fühlte es sich an, plötzlich aufgeregt in seinen Schulterblättern mit den Flügeln schlug?
Der Krieger sah, wie etwas Eckiges aus den Händen eines Mannes fiel, wie er den Arm erhob und ein römisches Schwert schwenkte. Ein hoher und schriller Schrei gellte in seinen Ohren. Dann spürte er einen Druck, der ihm durch sämtliche
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