Die Bestimmung
Glieder fuhr. Für einen Moment schien es, als hebe sich das ganze Gebäude kurz an, dann folgte ein unbeschreiblicher Donner, der sich durch die Hallen wälzte wie ein Todesruf. Der Boden unter ihnen erzitterte. Liran stieß Nilah ein weiteres Mal von sich, und zwar mit der Heftigkeit von Akkoshs Kraft. Er registrierte kurz ihren erstaunten Blick, als sie wie eine Puppe in den gegenüberliegenden Gang davonflog, die Arme schützend über ihren Kopf gelegt.
«Lebe!», schrie er mit solcher Inbrunst, dass er hoffte, damit den Untergang übertönen zu können. Der Mann stürzte auf ihn zu. Liran hatte selten einen solch flammenden Hass in den Augen eines Menschen gesehen. Es schien, als habe der Mann seine Rippen durch die Kleidung gedrückt, doch sie waren länglich und seltsam eckig, zwischen ihnen verliefen Adern, so gewunden wie der Schaft eines Dam´Daru . Wie entgeistert wich der Krieger zurück und bemerkte erst jetzt, dass er noch immer den Pfeil des Schmerzbringers in der Hand hielt. Ohne einen weiteren Gedanken schleuderte er ihn dem Angreifer entgegen und sah, wie sich das gewundene und vergiftete Holz in die Hüfte des Mannes grub, der schreckensweit die Augen aufriss und abrupt hinfiel, als sei er über eine unsichtbare Barriere gefallen. So hart schlug er auf das Kinn, dass Liran sogar die Zähne brechen hörte. Das Schwert entglitt der Hand und schlidderte vorwärts, bis Liran den Fuß darauf stellte und es abstoppte. Blut lief dem Mann aus dem Mund, als dieser aufsah und ihn anstarrte. Dann brach eine Hälfte des Bodens ein und stürzte unter lautem Getöse unter den Beinen des Mannes weg, der sich mit letzter Kraft mit einer Hand am Rand der zerborstenen Kante festhielt und noch immer Liran mit Blicken durchbohrte. Der Krieger stand wie angewurzelt da, konnte sich nicht rühren.
«Gott will es!», schrie der Mann und ließ seinen zweiten Arm auf die Kante gleiten, an dessen Zeigefinger ein metallischer Ring steckte.
«Gott will es!», waren die letzten Worte, die Liran erreichten, als er mit der Geschwindigkeit einer Wölfin durch den Trakt raste, Nilah einholte, sie packte, eine verschlossene Tür im Laufen eintrat, weiterrannte, während sich hunderte Zweige um seine Anam Ċara wickelten und diese fest an ihn pressten. Der Lärm machte taub. Die Luft wurde heiß und beißend. Tausende Dinge wurden zerschmettert, flogen mit unglaublicher Schnelligkeit, zerfetzten, durchschlugen, zermalmten alles auf ihrem Weg. Liran hielt auf das Fenster zu. Er fühlte, wie Dahi die Ohren anlegte, er spürte, wie sich die Eule in ihm klein machte, er spürte, wie das Wasser all seine verbliebene Magie wie einen Schild in den Rücken verlagerte und einen eisigen Panzer bildete, während der Baum in ihm Nilah festhielt und seine Kraft in das Fenster warf. Er spürte, wie das Glas über seine Haut schnitt, wie die kalte Nacht in seine Kleidung raste, der Boden unter ihm auf ihn zuflog, wie Akkosh seine Wurzeln ausbreitete und wie er fiel. Er spürte Nilahs Geruch in seinen Armen, so nah und deutlich, dass er glaubte, nie wieder etwas anderes sein zu können als ihr Beschützer.
Als Liran auf einem Container landete, der neben dem Museum stand und sich das Metall stöhnend zu einem tiefen und verbeulten Krater verzog, lösten sich diese Gedanken auf.
Das Völkerkundemuseum der Stadt Hamburg war nicht mehr länger Teil dieser Welt. Hunderte Schaulustige beobachteten, wie sich das Gebäude kurz hob, um es dann kurz darauf versinken zu sehen. Die schmiedeeisernen Verstrebungen der unteren Fenster, die die Kostbarkeiten schützen sollten, flogen wie grimmige Hummeln umher, zerschnitten die Luft wie Laute aus einer anderen Zeit. Als auch noch der obere Bereich in einem Inferno aus Explosionswellen und Flammen in den bewölkten Himmel katapultiert wurde, bekreuzigten sich einige, bevor sie sich auf die kalte Straße warfen, um ihr Leben und ihre so kostbaren Seelen zu retten.
Eines der Einbäume, über tausend Jahre alt, schlug in den Bus vor dem Hauptgebäude ein und bohrte sich in dessen Motor. Die Balustrade über dem Eingang kippte nach vorn und sank wie ein siechender Kranker hernieder, um auf seinen eigenen Stufen zu zerschellen. Die meterhohen Figuren, die darauf gestanden hatten, wurden wie lose Blätter fortgerissen. Der bärtige Mann mit der Schaufel stürzte einfach nur kopfüber auf die Treppe des Eingangs. Der weibliche Engel aber flog über die Ampeln der Rothenbaumchaussee und rammte sich in das
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