Die Betäubung: Roman (German Edition)
Konsultation an«, sagt Suzan zu Ron. »Das ist nicht gut, er reißt noch alles kaputt.« Sie schaut kurz zu dem furchterregenden Kopf des verwirrten Mannes hinüber und wendet den Blick ab. Der Eingriff ist gemacht, der Patient ist wach, wie es weitergehen soll in diesem erschwerten Leben, das liegt nicht mehr in ihrer Kompetenz. Sie sieht, wie Ron dem Mann zuredet, lieb, mit gesenkter Stimme – Sie müssen sich wieder hinlegen, dann wird schon alles gut –, aber der Mann starrt mit glasigen Augen an seinem Tröster vorbei und rupft an seinem Stoma.
Der Piepser. »Schockraum, in fünf Minuten. Bauchtrauma.«
Ich gehe kurz hin, denkt Suzan, und übergebe dann an Tjalling. Sie spürt ihre Beine nach einem Tag Stehen und Rennen.
Unten steht das Team bereit, mindestens zwölf Leute drängen sich um den leeren Tisch. Die Sirene des Krankenwagens wird immer lauter. Dann kommen die Sanitäter hereingerannt. Sie tragen grüngelb fluoreszierende Anzüge. Einer von ihnen, eine Frau mit streng nach hinten gebundenem blondem Haar, teilt allen Anwesenden laut die Fakten mit.
»Junge Frau, Radfahrerin, durch Lastenfahrrad von links umgefahren, über den Lenker gestürzt, Lenkerende in Bauchhöhle gedrungen, große Wunde in Symphyse, Infusion angelegt, bei Bewusstsein, starke Schmerzen.«
Suzan nimmt ihre Position am Kopfende des Tisches ein. Sevofluran, denkt sie, ich muss sie so schnell wie möglich narkotisieren. Sie schaut vom Narkosegerät auf, das junge Mädchen liegt jetzt auf dem Tisch – habe ich gezählt, haben wir sie herübergehoben? Sie weiß es nicht. Es ist Roos. Die schwarzen Locken. Die Lederjacke. Jetzt nicht ohnmächtig werden. Die Zügel in die Hand nehmen.
»Kleidung wegschneiden«, sagt sie, während sie dem Unfallopfer die Maske über Nase und Mund setzt. Das Mädchen wird schlapp. Intubieren. Der Blutdruck ist in Ordnung. Die Atmung ist sichergestellt. Ich stehe hier und habe die Übersicht. Das Mädchen ist nackt. Der Chirurg hebt den Gazebausch auf der Bauchwunde an. Das Bauchfell hängt heraus. Er deckt die Wunde wieder ab. »Sofort in den OP, jetzt!«
Während des Transports bleibt Suzan nah am Kopf des Mädchens. Regelmäßig und entschieden drückt sie den Beatmungsbeutel und sieht, wie sich der Brustkorb bewegt.
Im OP geben sich alle gegenseitig Befehle, ein Chaos, das an Suzan vorbeigeht. Mit sicherer Hand schließt sie die Schläuche an. Die zerschnittenen Kleidungsstücke und sonstigen Habseligkeiten des Mädchens werden in eine Plastiktüte gestopft, die irgendwer in eine Ecke wirft.
»Kein Blut in der Blase«, ruft der Chirurg. »Ich will jetzt in den Bauch schauen. Kann jemand ein Foto für die Polizei machen?«
Sie vermeidet es, zum Gesicht des Mädchens zu schauen, und verfolgt genauestens, was der Chirurg macht. Er hat den Bauch weit geöffnet. Sie sieht prachtvolle rosafarbene Darmschlingen, die vor Gesundheit strotzen.
»Was für ein Schaden! Kann jemand die Plastische anrufen?« Der Chirurg inventarisiert die Risse und schätzt, wo die Läsionen liegen.
»Sie hat ein Riesenglück gehabt«, sagt jemand in Suzans Ohr. »Einen halben Zentimeter weiter, und der Lenker hätte die Aortabifurkation verletzt. Dann wäre sie verblutet.«
Sie schaut zur Seite. Tjalling. Freundliche Augen hinter Brillengläsern.
»Es ist Roos, Tjalling, es ist Roos.« Jetzt erst merkt sie, wie sehr ihr die Knie zittern.
»Ich übernehme. Du gehst nach draußen.« Sie wird ohnmächtig.
Später findet sie sich auf einem Hocker vor dem Innenfenster wieder, durch das man in den OP schauen kann. Der plastische Chirurg ist hinzugekommen, der Darm wird mit ingeniösen Apparaten genäht, es dauert Stunden. Sie sieht die Anästhesieschwester – es ist Carla – zu der Plastiktüte gehen und darin herumsuchen, bis sie eine Brieftasche herausgefischt hat. Carla blickt zu Tjalling und ruft etwas. Dann stürmt sie aus dem OP und steht plötzlich bei Suzan.
»Sie heißt Marijke. Es ist nicht Roos.«
Suzan weint. Carla nimmt sie in die Arme. »Sie ist es nicht, sch, ganz ruhig.«
Suzan empfindet extreme Verwirrung. An wen soll sie dieses Entsetzen jetzt weitergeben? Sie braucht es nicht mehr zu empfinden, das Mädchen ist nicht ihre Tocher, aber wessen Tochter dann? Da liegt jemand, der ernstlich verletzt ist. Eine Tochter, aber nicht die ihre.
Sie greift zu ihrem Handy.
9
Die Pflegemanagerin des Altenpflegeheims hat gesagt, dass das Weihnachtsessen in diesem Jahr Mitte Dezember stattfinden wird.
»Wenn
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