Die Betäubung: Roman (German Edition)
dieses unbeschwerte Lächeln. Das ist es also, der Junge ist in eine kollektive Betäubungsmission aufgenommen worden. Alle blocken ihre Angst oder ihre Aversionen ab, notgedrungen. Also darf er es auch.
»Die Zeit ist um«, sagt Drik. »Lass uns nächste Woche weitermachen.«
Hör auf mit dieser idiotischen Verliebtheit, möchte er sagen, denk um Himmels willen mal darüber nach, was sie bedeutet – aber er weiß, dass Verliebte nicht auf solche Kommentare hören. Und dass Therapeuten solche Kommentare besser für sich behalten.
Als Allard weg ist, sinkt Drik auf seinem Sessel in sich zusammen. Was für ein Schlamassel. Ich kann nicht mehr zurück. Ich hätte gleich, als er von der Abteilung anfing, vor Monaten schon, sagen müssen, dass ich dort jemanden kenne. Gut kenne. Jetzt ist es zu spät. Soll ich mal ein ernstes Wörtchen mit Suzan reden? Was denkt sie sich eigentlich! Lächerlich, ihr Verhalten. Völlig daneben. Aber ich kann natürlich nichts sagen, weiß ja offiziell nichts, kenne den Jungen gar nicht. Bei Peter und Suzan am Tisch zu sitzen wird jetzt reichlich kompliziert. Da muss ich ständig aufpassen, was ich wissen kann und was nicht. Was ich sage. Ist es diesem Burschen doch tatsächlich gelungen, mir den Kontakt mit meiner Familie unmöglich zu machen! Und ich habe es geschehen lassen. Ich werde diese Therapie ganz einfach beenden. Wenn er das nächste Mal kommt, sage ich: Keine Beschwerden mehr, also ist es an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Er möchte doch so gern Anerkennung für das, was gut läuft, oder? Die kann er haben. Und dann tschüs.
Drik hat sich mit Roos verabredet, mitten am Tag. Sie sitzen in einem Straßencafé und essen eine Kleinigkeit. Es ist gerade noch warm genug, um draußen sitzen zu können. Warum habe ich sie angerufen, fragt er sich, weil sie die Einzige in der Familie ist, die noch nicht infiziert wurde? Seit er von Suzans Fehlverhalten weiß, fällt es ihm schwer, sich mit Peter zu unterhalten. Mit Suzan selbst möchte er nicht reden, dafür ist er zu wütend. Roos hat nichts mit alldem zu tun. Bei ihr kann er frei sprechen. Außer über ihre Mutter natürlich.
Sie schwatzt über ihr Referat und die Gespräche mit Leida. Sie hat was Hübsches daraus gemacht, Drik hat das Interview gelesen und war beeindruckt.
»Du kannst gut zuhören und die richtigen Fragen stellen. Für mich eine ganz besondere Lektüre. Sie hat mein Bild von Leida verändert. Machst du noch mehr solche Projekte? Du kannst gut schreiben.«
»Och. Weiß nicht«, sagt Roos. Sie sieht nicht gerade fröhlich aus. Als Drik sie fragt, wie es ihr gehe, lässt sie die Schultern hängen und stützt den Kopf in die Hände.
»Zu nichts Lust. Aber nichts zu Hause sagen, ja?«
»Natürlich nicht. Hattest du nicht einen Freund? Läuft es nicht so, wie du es gern hättest?«
Sie legt die Hände um ihre Tasse. Genau wie Suzan, denkt Drik. Wie schrecklich jung sie noch ist und viel zu verletzlich. Wie kann so ein Mädchen den unaufhörlich über sie hinwegschlagenden Wellen gewachsen sein? Wer beschützt sie?
»Doch. An sich ist es schön, wir sehen uns ziemlich oft, und wir können miteinander lachen. Er lässt sich immer etwas Besonderes einfallen. Er spielt auch im Orchester mit.«
»Aber es ist nicht ganz und gar schön, wenn ich es richtig heraushöre?«
Roos nickt.
»Er ist so alt. Fast dreißig. Das Studentenleben, das ich so liebe, hat er schon hinter sich. Aber ich kann doch meine Freunde nicht einfach aufgeben! Das versteht er, glaube ich, nicht.«
Drik hört zu und schweigt.
»Er kommt und geht. Mal sehen, was wird. Manchmal denke ich, dass ich zu alten Leuten verdammt bin. Als ich klein war, hatte ich nur Erwachsene um mich herum. Papa und Mama und euch. Nie Cousins oder Cousinen, keinen Bruder und keine Schwester. Für mich war das okay, die Ferien und so, wirklich. Aber eigentlich ist es doch sonderbar, oder? Ich muss bei Leuten in meinem Alter immer überlegen, was sie meinen, wie ich mich verhalten soll. Bei älteren Leuten geht das von selbst, das bin ich gewohnt. Weißt du, ich habe mir immer einen Bruder gewünscht. Wie Mama und du, dass man das Gleiche erlebt, dass man einander ähnelt. Ihr habt die gleiche Art von Gesicht, die gleichen Augen. Ihr steht nicht allein da. Das habe ich mir früher oft ausgemalt, bevor ich eingeschlafen bin.«
Drik nickt. Es fühlt sich wie ein Vorwurf an. Wir hätten ein Kind bekommen müssen, einen Kameraden für Roos. Notfalls adoptieren.
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