Die Bettelprophetin
Ich hab gehört, es ist ein Mädchen.»
«Sie heißt Johanne.» Theres versuchte, sich mit ihrer Freundin zu freuen, aber es gelang ihr nicht. «Sie war erst ganz schwach, aber jetzt trinkt sie gut und nimmt zu.»
«Das ist schön! Weißt was? Mein Friedemann will mit mir in die Residenzstadt gehen und dort ein Konfektionshaus eröffnen. Du und deine kleine Johanne – ihr kommt einfach mit uns. Stuttgart ist eine große und reiche Stadt, da findest du allemal eine Stellung, auch als ledige Mutter. Oder du arbeitest einfach im Geschäft von Friedemann. Ja, genau, das wäre die Lösung.»
Theres begann zu zittern. «Das geht nicht. Der Kirchenkonvent will mir Johanne wegnehmen. Nach Ravensburg soll sie, in die Fürsorge. Ach, Sophie.» Sie kam nicht länger gegen die Tränen an. «Es ist wie ein Albtraum, der sich wiederholt. Wie ein Fluch. Mich haben sie meiner Mutter genommen, und meine Johanne nehmen sie jetzt mir weg.»
«Das darf nicht wahr sein!» Sophie starrte sie entsetzt an.«Was ist das nur für eine Welt! Nein, bitte, hör auf zu weinen. Friedemann, der Gute, wird das regeln. Er hat Einfluss hier in der Stadt.»
«Da ist noch was. Heute spätestens hätt ich auf dem Rathaus fünfzehn Gulden Strafgeld zahlen müssen. Wegen – wegen Unzucht.»
Sophie schnaubte. «Diese bigottischen Halunken! Greifen noch den Ärmsten und Unglücklichsten in die Tasche. Was für ein himmelschreiendes Unrecht! Erst recht, dich und dein Kind auseinanderzureißen. Weiß du, was ich glaub? Selbst wenn sich dein Kasimir nicht vom Acker gemacht hätte – er hätte dich trotzdem nicht heiraten dürfen. Wegen den beschissenen Heiratsgesetzen nämlich, die’s nur noch den reichen Laffen erlauben! Unsereins darf sich nicht heiraten, trotz Verspruch und Proklamation in der Kirch, bloß weil der Nahrungsstand nicht gesichert ist oder der Lebenswandel irgendwie liederlich. Und wenn dann Kinder kommen, nimmt man sie weg und gibt sie irgendwelchen raffgierigen Bauern in Pflege. Da bleibt den einfachen Leuten ja gar nix andres als das Auswandern. Hat ja nicht jeder so ein Riesenglück wie ich.»
Theres hatte ihrem wütenden Redeschwall nicht einmal zugehört. «Wann reist ihr ab?», fragte sie tonlos.
«Nächsten Montag schon. Theres, du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Wir haben noch vier Tage Zeit, ich schick den Friedemann gleich morgen los, dass er zum Kirchenkonvent geht.»
«Und – das Geld?»
Sophies Gesichtsausdruck war ratlos. «Fünfzehn Gulden sind eine Menge. Friedemann hat alles in den Umzug und in die Kontrakte gesteckt, dem brauch ich grad mit Geld nicht kommen. Wart mal.»
Sie sprang auf und kramte in ihrer Kommodenschublade.
«Acht Gulden krieg ich zusammen. Das Geld für meinen Reisekoffer und Proviant. Nimm es. Meinen Plunder kann ich auch irgendwie anders transportieren.»
«Das kann ich nicht nehmen.»
«Du musst. Oder willst du im Arresthaus landen? Sag auf dem Rathaus, der Rest kommt demnächst. Das wird schon gehen.»
Am nächsten Morgen machte Theres sich auf den Weg zum Rathaus. So viele schlaflose Nächte hatte sie inzwischen hinter sich, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sie fragte sich durch nach dem Amtszimmer des Gerichtsaktuars Bolz, wo sie nach einigem Warten endlich eingelassen wurde.
«Sieh an, die Theres Ludwig aus dem Spital!» Der junge Bolz zwirbelte mit seinen dünnen Fingern den Backenbart. «Wenn ich mich nicht sehr irre, hättest du gestern kommen sollen.»
«Ich hatte das Strafgeld nicht beisammen.»
«Und? Hast du es jetzt?» Er starrte ungeniert auf ihren Ausschnitt, woraufhin sie sich das Schultertuch bis zum Hals hochzog.
«Acht Gulden hab ich.»
«Acht Gulden – ja, sind wir hier auf dem muselmanischen Bazar? Fünfzehn hast du zu zahlen, sonst gibt’s Arrest.»
«Der Rest kommt demnächst.»
«So, so.» Er schien nachzudenken. Schließlich nahm er sie beim Arm, schob sie zu der Holzbank an der Wand. «Setz dich.»
Verunsichert beobachtete sie ihn, wie er aus der Schublade seines Schreibsekretärs eine Holzkiste holte und vor sich auf die Tischplatte stellte. Darin befanden sich etliche Mappen aus grauer Pappe.
« Jot – Ka – El », murmelte er. «Ludwig – da haben wir’s.»
Er zog ein Papier aus der Mappe.
«Du hast das sicher alles gar nicht gewollt, oder?», fragte er, und seine Stimme bekam einen honigsüßen Klang.
«Was meinen Sie?»
«Dein Lieutenant hat dich überrumpelt und dir dabei hochheilig die Ehe
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