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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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hatte er die Metzlerskinder vor allen anderen so verhöhnt, dass diese sich fortan weigerten, seine Stunden zu besuchen. Ein andermal verlas er vor der Heiligen Messe einen Hirtenbrief des Bischofs, in dem der Rottenburger gegen Aberglauben und Lügengewebe wetterte und das Volk zur Umkehr zur reinen katholischen Lehre und zu den von der Kirche gesendeten Hirten aufrief. Denn nur von hier komme Gottes Wort, nicht aber von dieser gotteslästerlichen Weibsperson, die fast wie eine Heilige gepriesen werde, und auch nicht von jenem eitlen, verwirrten Pfarrherrn, der nun endgültig seines Amtes enthoben sei.
    Ganz offensichtlich wollte man einen Keil in die Gemeindetreiben, doch das brachte zunächst einmal nur noch mehr Menschen in den Kreis am Voglerhof, und Bauer Metzler war drauf und dran, eine Meute Getreuer zu bewaffnen und Nesensohn aus dem Weissenauer Pfarrhof zu jagen. Nur ein Brief von Patriz Seibold hatte ihn in letzter Minute daran gehindert. Darin empfahl er ihnen allen, sich vorerst still zu verhalten. Sobald als möglich werde er auf den Voglerhof kommen.
    Theres hatte nie wirklich verstanden, worum es bei diesen erbitterten Auseinandersetzungen im Einzelnen ging. Noch weniger allerdings verstand sie, warum ihrer Person eine solche Bedeutung beigemessen wurde, was die Menschen hier in ihr sahen. Oder sehen wollten.
    Einmal, auf der Heimreise damals von Eglingen, hatte sie den Pfarrer danach gefragt: «Warum nur tun Sie das alles für mich?» Tränen der Rührung standen in ihren Augen. Sie sei doch im Grunde nichts als eine hergelaufene Landstreicherin, die sich obendrein fast zur Hure gemacht habe. «Hast du vergessen, auf wessen Seite Jesus Christus stand?», war seine Gegenfrage gewesen, und seine hellblauen, sonst so sanften Augen hatten gefunkelt. «Nicht mit Pharisäern und Schriftgelehrten hat er sich umgeben, sondern mit Kranken und Schwachen, mit Zöllnern und Dirnen.»
     
    Als sich die erste Schneedecke über das Schussental breitete, legte sich die Aufregung um die sogenannte «Weissenauer Sache» erst einmal, und es wurde ruhiger auf dem Einödhof. Der tägliche Weg hier herauf war den meisten wohl zu beschwerlich bei diesem Wetter. Theres war das gerade recht. Sie war zwar froh, ihrer langen Zeit der Einsamkeit entkommen zu sein, aber große Menschenansammlungen machten ihr eher Angst, zumal unter diesen Umständen, wo jeder nur auf sie, Theres Ludwig, zu achten schien. Dabei mochte sie diesen knorrigenMenschenschlag hier in der Gegend. Klein und gedrungen waren die meisten und dunkelhaarig, wie man es von den Italienern sagte. Ein wenig absonderlich wirkten sie manchmal, auch derb und rebellisch, konnten aber sehr herzlich sein. Ihre tiefe Gläubigkeit stand ihrer Genussfreudigkeit nicht im Wege: Jeder Anlass zum Tanz, zum gemeinsamen Umtrunk oder Singen wurde wahrgenommen, und man teilte dabei das Wenige, das man hatte.
    Der Alltag hatte sich bald eingespielt mit seinem Wechsel aus Arbeit, Gesang und Gebet und den kleinen Gelegenheiten, wo man sich zum Schoppen Wein zusammensetzte. Jetzt im Winter war draußen nicht viel zu tun, und so half Theres meistens in der Küche oder bei der Heimarbeit mit. Bauer Metzler hatte zwar protestiert, sie sei nicht zum Arbeiten hier, vielmehr habe er die Ehre, sie gegen die Ravensburger Obrigkeit zu schützen, und schließlich habe der Pfarrer ja auch ein üppiges Kostgeld für sie gelassen. Aber Theres setzte sich hierüber einfach hinweg, denn es wäre ihr zuwider gewesen, anderen bei der Arbeit zuzusehen wie eine Herrentochter. Wahrscheinlich hätte Metzler sie am liebsten unter eine Glasglocke gesetzt, so, wie er sich um sie sorgte!
    Doch obwohl sie sich mit offenen Armen aufgenommen fühlte, beschlich sie mitunter eine heimliche Sehnsucht nach dem Weissenauer Pfarrhof, nach Käthe und vor allem nach Patriz Seibold, dessen Ankunft sie entgegenfieberte, ohne es sich einzugestehen.
    Er erschien am Abend ihrer ersten Adventsandacht. Pauline hatte Theres gedrängt, die alte Tradition aufzugreifen und bis zum Weihnachtstag jeden Abend eine Andacht mit der Anrufung Jesu Christi durchzuführen. Hierzu hatten sie die Wohnstube festlich ausgeschmückt, mit Kränzen und Lichtern und violetten Bändern. Natürlich war es wiederum PaulinesSchwatzhaftigkeit zu verdanken, dass so viel mehr Menschen kamen als sonst, bis schließlich kaum noch ein Schemel in den Raum gepasst hätte.
    Theres hatte sehr wohl die kurzzeitige Unruhe mitten während der Andacht

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