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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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steht’s im Psalm 104?
Auf dass der Wein erfreue des Menschen Herz


28
    Voglerhof, im Jahr 1849
    Zum Jahresanfang überschlugen sich die Ereignisse. Nur ein einziges Mal noch war Patriz Seibold auf dem Einödhof erschienen, für eine Nacht. Er hatte gehetzt gewirkt, als er sich am nächsten Morgen bei klirrender Kälte auf den Weg gemacht hatte. Zu Theres’ Freude hatte er sie gebeten, ihn bis zur Landstraße zu begleiten.
    Im Augenblick des Abschieds nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und fragte: «Wann endlich können wir zurück ins Pfarrhaus?»
    «Wir? Du meinst, du und ich?» Seine Augen hatten die Farbe des pastellfarbenen Winterhimmels angenommen.
    Mit dünner Stimme erwiderte sie: «Ja.»
    «Ich weiß es nicht, Theres. Aber es klingt schön, wie du das sagst.»
    Er zog ein silbernes Halskettchen aus der Tasche mit einem Fisch daran. Der Anhänger blitzte in der Morgensonne, die sich eben über die Hügel schob. Behutsam schob Seibold ihr die Kapuze aus dem Gesicht und legte ihr das Kettchen um den Hals. Seine Hände waren warm.
    «Weißt du, warum der Fisch ein Symbol der Christenheit ist?»
    Theres schüttelte den Kopf. Sie war sprachlos vor Überraschung.
    «Das griechische Wort für Fisch ist
ichthys
. Die Anfangsbuchstaben lassen sich als Bekenntnis zu Jesus Christus lesen: Jesus Christus, Gottes Sohn und Erlöser.» Er zog ihr wieder die Kapuze übers Haar. «Die Urchristen benutzten den Fisch als Erkennungs- und Geheimzeichen.» Jetzt wurde seine Stimme fast ein wenig rau. «Ich möchte dir die Kette schenken als Symbolfür unsere Verbundenheit. Damit du mich nicht vergisst, Theres, was auch geschieht.»
    Das klang nach einem Abschied auf immer und zugleich – ihr lief ein Schauer über den Rücken – fast wie eine Liebeserklärung. Sie wollte ihn fragen, was das alles zu bedeuten habe, ob er denn nicht zurückkehre. Stattdessen brachte sie nur ein ungelenkes «Danke» heraus.
    Dann reichte sie ihm die Hand.
    Er zog Theres an sich – ganz so, wie ein Pfarrer seinen Schützling umarmen durfte. Nur einen Augenblick zu lang, einen wunderbaren Augenblick zu lang.
     
    Es wurde noch ruhiger um den Voglerhof in diesen Neujahrstagen. Die Weissenauer unten im Tal schienen der Hetzpropaganda des Pfarrverwesers einer nach dem andern zu erliegen. Bis auf Käthe und eine Handvoll Frauen kam nämlich keiner mehr herauf zu ihnen. Außerdem hatten zum Jahreswechsel, das erfuhren sie jetzt erst, siebenundvierzig Weissenauer Gemeindebürger dem Bischof eine Bittschrift um Aufhebung von Seibolds Suspension geschickt. Ihr Pfarrer sei «ein Hirt, der seine Herde nur auf gute Weide führe. Er habe immer eine gute Absicht gehabt, auch wenn er im Eifer vielleicht zu weit gegangen sein möge.»
    Metzler und seine Leute hatten sich über diesen letzten Satz weitaus mehr empört als Theres selbst.
    «Hosescheißer!» – «Ärschlesschlupfer!» – «Mit ‹zu weit gegangen› meine die unsre Theres; die verleumden die Theres!»
    «Bitte, hört auf damit», unterbrach sie Theres. «Wir wollen doch alle, dass Pfarrer Seibold zurückkommt. Ist es da nicht ganz gleich, mit welchen Worten die Bittschrift ausgesprochen wird? Wenn’s Erfolg hat, umso besser.»
    Leider zeitigte das Gesuch keinesfalls Erfolg. Im Gegenzugmachten in den nächsten Tagen die erschreckendsten Gerüchte die Runde: Patriz Seibold sei unwiederbringlich in Ungnade gefallen, und wenn er nochmals in Weissenau auftauche, müsse er nicht nur um seine Zukunft, sondern auch um sein Leben fürchten. Etliche Weissenauer Pfarrkinder schimpften bereits öffentlich, niemand andres als die Ludwig sei schuld an diesem Unglück. Theres selbst lag nachts schlaflos im Bett, ihre Finger um den silbernen Fisch geschlossen, und schickte verzweifelte Gebete an ihren Herrgott.
    Zur selben Zeit tauchten zwei Polizeidiener bei Metzler auf – allein wagten sie sich offensichtlich nicht mehr her – und überbrachten ein amtliches Schreiben: Die Diebin, Betrügerin und übelst beleumdete, weil wiederholt sittenlose Theres Ludwig sei mit sofortiger Wirkung unter Hausarrest gestellt und dürfe das Gehöft bis auf weiteres nicht verlassen. Alfons Metzler persönlich hafte hierfür, gegen Polizeihausstrafe bei Zuwiderhandlung. Des Weiteren dürften die Kontrollen seitens der Polizeidiener nicht mehr behindert werden.
    Die nächste Hiobsbotschaft traf Ende Januar ein: Man habe Patriz Seibold auf Befehl des Bischofs ins Correctionshaus Rottenburg eingeliefert, in ebenjene Anstalt,

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