Die Bettelprophetin
Pfarrer und Priester nicht gutheißen konnte, was er ganz gewiss ahnte. Sie war unfähig, überhaupt ein Wort zu sagen, bis Konzet schließlich aufstand und aus der Schublade der Kommode ein Stück Papier zog.
«Das hat er für dich aufgeschrieben, für alle Fälle. Name, Aussehen und Adresse eines jungen Vikars in Rottenburg, Paul Matthes, dem du voll und ganz vertrauen könnest. Seibold ahnte wohl, dass er verfolgt wird.»
Da erst begriff Theres wirklich, was geschehen war. Als sie nach dem Papier greifen wollte, wurde ihr schwarz vor Augen.Dieses Mal wehrte sie sich dagegen, sie wollte nicht ohnmächtig werden, dieses Mal nicht – aber es war zu spät. Mit einem leisen Seufzer kippte sie von der Bank.
Als sie erwachte, fand sie sich mit verbundenem Kopf auf dem Bett ihrer alten Kammer liegend. Konzets Magd hockte auf einem Schemel daneben, durch das Dachfenster schickte die Morgensonne die ersten Strahlen.
«Was ist mit mir? Hab ich geschlafen?»
«Sie sind umgefallen und haben sich dabei den Kopf am Stuhlbein gehörig blutig geschlagen. Nachdem der Arzt da war, sind Sie eingeschlafen.»
Jetzt erinnerte sie sich wieder an alles. Man hatte Patriz gefangen genommen! Mit einem Satz war sie aus dem Bett.
«Wo sind meine Kleider?» Ihr Blick irrte durch den Raum.
«Aber Sie können jetzt nicht aufstehen. Der Arzt hat Ihnen Bettruhe verschrieben.»
«Bitte helfen Sie mir.» Von hinten pochte es heftig gegen ihren Schädel. «Ich hab keine Zeit zu verlieren.»
«Ach, Kindchen.» Die alte Magd stützte sie am Arm ab, als Theres zu schwanken begann. «Es ist die Liebe, nicht wahr? Auch bei dem andern Herrn Pfarrer hab ich sie in den Augen gesehen. Setze Sie sich, ich hol die Kleider. Der Umhang hängt unten in der Diele zum Trocknen.»
Als Theres die Stiege herunterkam, erwartete sie bereits Pfarrer Konzet bei der Haustür.
«Ich hab gehört, dass du auf bist. Wo willst du hin?»
«Nach Rottenburg, zu diesem Vikar. Ich muss herausfinden, was mit Patriz ist.»
Konzet schüttelte entschieden den Kopf. «So kannst du nicht hinaus. Du musst warten, bis der Arzt nach dir gesehen hat. Außerdem ist es viel zu gefährlich.»
«Ich muss.» Sie zerrte an ihrem Kopfverband, bis sie ihn gelöst hatte. Ihre Finger ertasteten das dickgepolsterte Pflaster an ihrem Hinterkopf, und sofort durchzuckte sie ein scharfer Schmerz. Als sie die Hand zurückzog, waren ihre Finger blutrot.
«Hör zu, Theres.» Mit sanfter Gewalt zog Peter Konzet sie in die Stube. «Du wartest, bis die Wunde einigermaßen verheilt ist. Ich kann deine Sorge um Pfarrer Seibold verstehen. Aber wenn du versprichst, vernünftig zu sein, bring ich dich in den nächsten Tagen nach Biberach und bezahl dir eine Kutsche nach Rottenburg.»
Es war der erste warme Maientag, als Theres auf dem sonnenbeschienenen Marktplatz der Bischofsstadt aus der Kutsche stieg. Dieser Vikar wohnte auf der anderen Seite des Neckars, in einer Wohnung der Pfarrei Sankt Moriz, und so machte sie sich, ohne nach rechts und links zu sehen, auf den Weg.
Vergeblich hatte Konzet in letzter Minute noch einmal versucht, sie davon abzubringen, auf eigene Faust Erkundigungen in Rottenburg einzuziehen. Zu gefährlich sei es, mitten hinein in die Höhle des Löwen zu marschieren, wo ihre und Seibolds erbittertsten Gegner saßen. Was, wenn man sie von der Stelle weg verhaften würde – erst recht, weil sie damals aus dem Arbeitshaus geflohen war?
«Ich hab keine Angst, glauben Sie mir», hatte sie ihn beruhigt und im Stillen hinzugefügt: Selbst wenn man mich einsperrt, so bin ich dann wenigstens in Patriz’ Nähe. «Haben Sie Dank für alles, Herr Pfarrer. Auch für damals, für die Zeit bei Ihnen als Magd. Es war eine wichtige und gute Zeit für mich.»
Da hatte er ihr die Hand aufgelegt, mit Tränen in den Augen: «Gott segne und behüte dich, mein Kind!»
Als sie sich jetzt zur Pfarrkirche Sankt Moriz durchfragte,war ihr doch reichlich mulmig zumute. Fast rechnete sie damit, dass einer der Büttel oder Aufseher um die Ecke kommen könnte und sie erkennen. Oder womöglich gar eine Kolonne von Züchtlingen bei ihrer Erholungspromenade. Warum nur hatte man Patriz wieder eingesperrt, gerade jetzt, wo sie zueinandergefunden hätten?
Zur Sicherheit hatte sie sich, trotz des freundlichen Wetters, die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht gezogen. Außerdem war ihr kalt vor Aufregung. Aber sie kam unbehelligt bis zur Neckarbrücke, von wo aus man den schlanken Turm von Sankt Moriz
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