Die Bettelprophetin
ins Schlüsselloch.» Er stieß den viel Kleineren gegen die Brust, sodass der gegen die Tür zum Kartenzimmer prallte. Die Tür sprang auf.
«Oder auch wie die Rute in den Schlitz!»
Blitzschnell packte er jetzt Urle und zerrte ihn ins Halbdunkel der Kammer, wo die Wandkarten, Schaubilder und Tierpräparate aufbewahrt wurden. Dasselbe tat Bartlome mit Theres, die sich vergebens mit Händen und Füßen wehrte. Durch die offene Tür gafften und feixten die andern Zöglinge, ganz vorne Rosina.
«Lasst uns los», keuchte Urle, aber die beiden Jungen hielten sie fest im Griff.
«Komm her und hilf uns», befahl Jodok Rosina. «Zeigen wir unserm Brautpaar mal, was eine eheliche Pflicht ist. Wie man nämlich Kinder macht, kleine Zwergenbälger und idiotische Missgeburten.»
Theres wollte schreien, aber eine Hand presste sich ihr von hinten auf den Mund, und sie bekam kaum noch Luft. Was dann geschah, war dermaßen widerwärtig, dass ihr speiübel wurde. Obwohl sie zappelte und sich wand wie ein Fisch, gelang es Rosina, ihr den Rock bis über die Hüften hinaufzukrempeln, sodass ihr Unterleib splitternackt war. Als sich Rosina daranmachte, dem hilflosen Urle die Hose herunterzuziehen, schloss Theres die Augen, um das alles nicht mit ansehen zu müssen.
«Ja, da schaut her», prustete Jodok, «der Schniedel vom Urle hat Angst gekriegt! Ganz klein ist der geworden, ein richtiger Zwergenschniedel. He, Rosina, tu ihn doch mal ein bissle streicheln, so wie bei mir immer. Sonst wird das nix mit dem Kindermachen.»
Theres hörte Urle fluchen und spucken, dann drückte sie jemand mit gewaltiger Kraft gegen ihn. Sie spürte, wie Urles kalte Beine gegen ihre gepresst wurden, und wollte sich befreien aus der eisenharten Umklammerung, als die andern ihr schmerzhafte Schläge gegen Rücken und Hüfte versetzten.
«Ein bissle mehr im Takt, liebe Leut!», rief Jodok. «Los geht’s: eins – zwei – eins – zwei …»
«Achtung, der Marder!»
Die Meute stob auseinander. Theres verlor das Gleichgewicht und stürzte samt Urle und einem Kartenständer zu Boden. Der konnte sich gerade noch die Hose hochziehen, als der Marder auch schon im Türrahmen stand. Fassungslos starrte er auf sie herunter.
«Das glaub ich nicht! Herr Oberinspektor! Sehen Sie sich das an.»
Als hinter Löblich auch noch das feiste Gesicht des Anstaltsleiters erschien, begann Theres haltlos zu weinen. Sie schämte sich in Grund und Boden.
«Das waren die andern», schluchzte sie und rappelte sich auf. «Die haben uns überfallen.»
Ratlos kratzte sich der Oberinspektor den Bart.
«Überfallen – so, so. Was aber habt ihr dann hier im Kartenzimmer zu suchen? Der Zutritt ist euch Zöglingen strengstens verboten.»
«Ich denke doch, der Fall ist klar.» Unsanft zerrte Löblich sie beide aus der Kammer und verriegelte die Tür. «Ein drastischeres Exemplum für sittliche Verkommenheit hätten uns diese beiden Objekte gar nicht liefern können. Ich fürchte, Herr Oberinspektor, ich bin am Ende mit meinem Latein und bitte Sie, die Bestrafung zu übernehmen.»
«Urle und Theres haben nichts getan.»
Wie aus dem Nichts war plötzlich Sophie in dem mittlerweile menschenleeren Flur aufgetaucht.
«Bitte glauben Sie mir! Das waren Jodok und Bartlome. Die haben sie in die Kammer gestoßen, und alle andern haben mitgemacht.»
«Du gehst gegen die eigenen Kameraden?», geiferte Löblich. «Pfui, schäm dich!»
In Theres’ Ohren begann es zu rauschen.
«Nun, werter Herr Löblich», der dicke Fritz seufzte tief, «so ganz klar scheint der Fall doch nicht. Oder haben wir den Sachverhalt etwa mit eigenen Augen gesehen? Ich schlage daher eine Kollektivstrafe vor: Die Vagantenkinder bekommen heute zu Mittag und zu Abend nichts als trocken Brot und Wasser. Und in den Recreationspausen schicken wir die Buben zum Holzhackenund die Mädchen ins Waschhaus. Dort werden sie ihre überbordende Energie schon abarbeiten. Fürwahr», er nickte befriedigt, «das erschient mir eine wahrhaft pädagogische Maßregelung. So wollen wir es handhaben.»
Theres schnappte nach Luft, ihr Magen hob und senkte sich. Sie stürzte an den verdutzten Männern vorbei zum Ausgang, schaffte es gerade noch durch die Tür hindurch, da erbrach sie sich auch schon in heftigen Krämpfen über die Treppenstufen. Danach wurde ihr schwarz vor Augen.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie in einem der Betten der Krankenstube. Die Krankenwärterin hob den Kopf.
«Bist endlich wieder bei
Weitere Kostenlose Bücher