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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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dir?»
    Theres nickte. Da bemerkte sie, dass ihr Körper in einem dünnen Leinenhemdchen steckte.
    «Wo sind meine Kleider?»
    «Hast dir alles vollgekotzt. Eine schöne Sauerei!»
    Die Krankenwärterin fühlte ihr Puls und Stirn.
    «Ich denk, du kannst wieder aufstehn. Hier, trink einen Schluck Wasser und zieh dir die frischen Kleider dort an. Ich bring dich in den Schlafsaal.»
    Theres erhob sich. «Ist’s denn schon Abend?»
    «Ja. Zu essen kriegst aber nix mehr, dazu ist’s zu spät.»
    Theres hatte ohnehin keinen Hunger. Ihre Kehle brannte, auf der Zunge lag der Geschmack von bitterer Galle.
    «Kommst jetzt endlich?», drängte die Wärterin. «Ich hab schließlich auch mal Feierabend.»
    Auf kraftlosen Beinen folgte Theres der Frau durch die Gänge und Flure, bis sie endlich im Trakt der Vagantenkinder angelangt war. Aus dem Erdgeschoss hörte sie Männerstimmen in einem Streitgespräch, oben bei den Schlafräumen war alles ruhig.
    Die Wärterin schob sie in den Schlafsaal und verschloss grußlos die Tür hinter ihr.
    «He, Theres!»
    Das war Rosinas Stimme. Theres gab keine Antwort.
    «Ich warn dich, Zwergenbraut. Wenn du heut Nacht hier rumkotzt, schlag ich dich windelweich, verstanden?»
    Stumm schlich Theres zu ihrem Bett und schlüpfte neben Sophie unter die Decke. Die nahm ihre Hand und drückte sie.
    «Wenn ich ein Junge wär, hätte ich Rosina und Jodok heut verprügelt», flüsterte Sophie. «Das war so hundsgemein von denen.»
    Augenblicklich hatte Theres wieder die demütigende Situation in der kleinen Kammer vor Augen und begann zu weinen. Das Schlimmste war: Sie fühlte sich selbst schuldig und irgendwie schmutzig. Alle hatten sie halbnackt gesehen, auch ihr bester Freund Urle. Es war wie ein Makel, den sie nie wieder loswerden würde.
    «Jetzt wein doch nicht mehr», hörte sie ihre Freundin sagen. «Irgendwann ist’s vergessen. Ich sag dir jetzt was: Mit mir haben sie so was auch schon mal gemacht. Und kein Mensch redet mehr drüber.»
    «Wirklich?»
    «Ja.»
    Theres wischte sich im Dunkeln die Tränen aus dem Gesicht. «Danke, dass du uns verteidigt hast.»
    «Ach was. Geht’s dir jetzt besser?»
    «Ein bisschen.»
    «Sei froh, dass du in der Krankenstube warst. Das war nämlich ein ganz blöder Tag. Nur Schufterei im Waschhaus und nix zu essen. Aber zum Glück ist bald Königsgeburtstag, da gibt’s ein großes Festessen. Und schulfrei ist dann auch.»
    «Was – was ist mit Urle?»
    «Weiß nicht. Den hat heut den ganzen Tag niemand mehr gesehn. Ich glaub, der schämt sich vor dir.»
     
    Einen Tag vor den Geburtstagsfeierlichkeiten zu Ehren König Wilhelms hatten Komödianten im nahen Ravensburg ihr Gastspiel angekündigt, darunter wirklich und wahrhaftig Urles Familie! Die hatte bei Oberinspektor Fritz das Gesuch eingereicht, ihren Sohn in der Anstalt besuchen zu dürfen.
    Auf dem Weg von der Morgenandacht in Richtung Schulzimmer hatte Urle Theres beiseitegenommen.
    «Sind wir immer noch Freunde?», fragte er als Erstes und errötete. Sie hatten seit jenem Vorfall nicht mehr miteinander gesprochen.
    Theres nickte.
    Dann erzählte er ihr von dem anstehenden Besuch seiner Familie. Ein bisschen schmerzte sie diese Nachricht, denn sie musste einmal mehr an Hannes denken. Den ganzen Sommer über hatte sie vergeblich auf einen Besuch ihres Bruders gehofft und auch sonst nie wieder von ihm gehört. Und dass, obwohl sie ihm ein kurzes Briefchen geschrieben und mit Urles Hilfe einem Kleinkrämer übergeben hatte, der auf dem Weg in die Hauptstadt war.
    «Du musst auch mit dabei sein, Theres. Du sollst sie alle kennenlernen – meine Eltern, meine älteren Brüder, meinen Onkel.»
    Theres versuchte, sich mit ihm zu freuen. «Wann kommen sie?»
    «Ich weiß nicht. Nach dem Unterricht will der Marder deshalb mit mir zum dicken Fritz.»
    Als sie drei Stunden später Urles Gestalt mit den schmalen Schultern und den kurzen Beinchen hinter ihrem Lehrer über den Hof tippeln sah, ahnte sie: Der Marder würde alles tun, damitdieser Besuch nur ja abgelehnt würde. Und zugleich schämte sie sich dafür, dass dieser Gedanke fast etwas Tröstliches für sie hatte.

5
    Waisenhaus Weingarten, Königsgeburtstag am 27.   September 1832
    Nach dem Festgottesdienst strömten die Menschen aus der vollbesetzten Martinskirche hinaus auf den Vorplatz hoch über Altdorf, wo sich die Musikanten in ihren Paradeuniformen bereits in Reih und Glied postiert hatten. Drei Böllerschüsse zum Ehrensalut an den König im fernen

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