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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Verwunderung fielen die katechetischen Belehrungen vor dem Abendessen aus, und auch die Tisch- und Abendgebete wurden äußerst kurz gehalten. Sophie erklärte ihr, dass die Lehrer und das Gesinde nach solch einem Ausflugstag alle mehr oder minder besoffen seien.
    «Bloß ärgern darfst sie dann nicht. Da ziehen sie dir gleich den Rohrstock über den Hintern.»
     
    Noch zwei weitere schulfreie Tage waren ihnen vergönnt. Von den Mahlzeiten und Gebetsstunden abgesehen, waren sie mehr oder weniger sich selbst überlassen. Es hätte so schön sein können, zumal die Sonne von einem strahlend blauen Himmel lachte – hätte Urle sich nicht so seltsam benommen und Pauline sich nicht wie eine Klette an Theres gehängt. Beide schien der Ausflug in den Altdorfer Wald aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben.
    «Sollen wir zusammen beten?», fragte das Mädchen sie am zweiten Tag.
    «Warum das denn?» Sie war einmal mehr auf der Suche nach Urle, der sich inzwischen völlig von den andern absonderte.
    «Weil – weil wir im Wald eine solch schlimme Sünde gesehen haben!»
    Theres schüttelte den Kopf. «Aber darum müssen wir doch nicht beten!»
    «Doch. Für denen ihr Seelenheil. Außerdem   …»
    «Was – außerdem?»
    «Ich glaub, der Marder hat mich erkannt, da im Wald. Er schaut mich immer derartig bös an, das macht mir richtig Angst!»
    «Ach was. Der kann gar nicht anders als bös schauen.»
    «Betest trotzdem mit mir?»
    «Meinetwegen. Heut Abend beim Schlafengehen.»
    An diesem Abend, als sie bereits alle im Bett lagen, streckte Lehrer Löblich noch einmal den Kopf zur Tür herein.
    «Ab morgen hat euer Lotterleben ein Ende, denkt dran», schnauzte er. «Jeden Einzelnen werd ich morgen früh in Lesen und Rechnen examinieren, damit ich sehe, ob ihr die Vakanztage sinnvoll genutzt habt. Gesegnete Nachtruhe!»
    «Herrjemine!», flüsterte Sophie. «Der sieht aus, als hätt er einen gehörigen Kater. Das wird gewiss übel morgen.»
    Zu einer geregelten Unterrichtsstunde sollte es allerdings gar nicht erst kommen. Pauline war nämlich am nächsten Morgen verschwunden, und der Grund hierfür war im ganzen Schlafsaal zu riechen: Sie hatte wieder ins Bett gemacht.
    Löblich und die Wagnerin, beide völlig außer sich, warteten noch, bis sich ihre Zöglinge gewaschen und angezogen hatten, dann ließen sie sie ausschwärmen, um Pauline zu suchen. Es waren Jodok und Bartlome, die das verängstigte Mädchen amspäten Vormittag in der Wäschekammer im Keller fanden und in den Hof schleppten.
    «Aufstellen im Spalier!», befahl der Marder, nachdem er sie alle zusammengerufen hatte. Mit hochrotem Kopf hielt er Pauline am Kragen ihres Nachthemdes fest. Nicht einmal zu flüstern wagten sie jetzt, als sich die Buben links, die Mädchen rechts in eine Reihe stellten und mit ansehen mussten, wie Pauline vor die Wagnerin geführt wurde. Die Lehrfrau hob ihren Stock: «Umdrehen und bücken!»
    Schon beim ersten Schlag stieß das Mädchen einen unterdrückten Schrei aus. Beim dritten Schlag heulte sie so laut auf, dass sich Theres die Ohren zuhielt. Da löste sich aus den Reihen der Knaben Urle. Wie ein Wiesel rannte er auf die Wagnerin zu, schnellte in die Höhe und entriss ihr mitten im Ausholen den Rohrstock.
    «Immer nur prügeln, immer nur draufschlagen könnt ihr!» Seine Stimme überschlug sich, sein schmächtiger Körper bebte. Im nächsten Augenblick stand er beim Hauseingang.
    «Immer prügeln, immer schlagen!», rief er, während er den Rohrstock über den Treppenstufen in kleine Stücke haute. Nur das Wimmern von Pauline war zu hören, als sich Löblich endlich aus seiner Schreckensstarre löste. Mit zwei, drei Sätzen war er bei Urle und drehte ihm die Arme auf den Rücken. Danach war er mit ihm im Hauseingang verschwunden.
    Beim Mittagessen blieb Urles Platz leer. Sie erfuhren, dass man ihn auf fünf Tage bei Wasser und Brot in die Arrestzelle gesteckt hatte, und Jodok wusste zu berichten, dass der Wundarzt hatte geholt werden müssen, so bös habe man den Zwerg zugerichtet.
     
    Mit kühlen Winden und Nieselregen ging der Sommer zu Ende. An Haimerami, dem Ende des Sommerhalbjahrs, verkündeteihr Lehrer im Beisein des dicken Fritz die Semestralzensuren. Einzeln mussten sie vortreten, die Mädchen zuerst, und sich mit gesenktem Kopf anhören, was Löblich mit gestrenger Stimme von seinem Blatt vorlas, woraufhin ein Lob oder ein Tadel seitens des Oberinspektors folgte. Dann durfte man sich wieder setzen. Zu Theres’

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