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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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bekam sie ein eigenes Bett samt eigener Kleidertruhe zugewiesen. Jetzt, im Hochsommer, stand hier die Hitze unter den Balken, im Winter würde man sich wahrscheinlich zu Tode frieren. Trotzdem war Theres zufrieden, dass es die Köchin war, mit der sie die Kammer teilte, denn diese erinnerte sie in ihrer offenen, unbekümmerten Art von Anbeginn an ihre Freundin Sophie, auch wenn die beiden äußerlich das genaue Gegenteil darstellten.
    Zu ihrem Erstaunen war Theres angehalten, ihre wenigen Kleidungsstücke wegzupacken und stattdessen Dienstmädchentracht zu tragen. Das hellgraue Gewand war zwar schon reichlich zerschlissen, dafür erhielt sie drei Garnituren blütenweißer Schürzen und gestärkter Hauben. Die Hausfrau schärfte ihr ein, nur ja Schürze und Haube zu wechseln, sobald sich der kleinste Fleck darauf abzeichnen sollte. «Schließlich ist es deine Aufgabe, die Türe zu öffnen, wenn es draußen schellt, und du sollst uns und unseren Gästen bei Tisch aufwarten.»
    Über Aufwartung und Reinemachen hinaus wurden Theresnoch die mannigfaltigsten Arbeiten zugewiesen. Sie musste Rösle beim Buttern, Pökeln und Kerzenziehen helfen, Wasser aus dem hauseigenen Brunnen, Holz aus dem Schopf holen, ihren Anteil der kleinen Wäsche verrichten, hin und wieder Botengänge und mit Rösle zusammen die Einkäufe übernehmen. Auch zum Feinbügeln, Weißnähen und Flicken spannte die Herrin sie ein, und damit nicht genug, musste sie auch noch die Kleinsten hüten, wenn Fräulein Euphrosina ihre Lektionen für die Älteren abhielt.
    Fünf Kinder hatten die Schönfärbers: den Erstgeborenen Klaudius, der im gleichen Alter wie Theres war und die Oberrealklasse im Karmeliter besuchte, seine um ein Jahr jüngere Schwester Kornelie, die zehnjährige Konstantia sowie die Zwillinge Kilian und Kunigunde, zwei maßlos verwöhnte Sechsjährige, die nicht nur den Dienstboten auf der Nase herumtanzten.
    «Wir erziehen unsere Kinder nach den Grundsätzen von Fröbel: Die Kindsmagd soll den Kleinen Hüterin und Gespielin zugleich sein», hatte Frau Schönfärber Theres eingeschärft, und die Köchin, die dabeistand, hatte die Augen gerollt und Theres hernach zugeflüstert: «Eine Maulschelle hin und wieder würde diesen Blagen besser stehen.»
    Wäre Rösle mit ihrer fröhlichen, warmherzigen Art nicht gewesen und die Aussicht, Sophie wiederzusehen – Theres wäre nach drei Tagen wieder auf und davon. Von früh bis spät war sie pausenlos auf den Beinen, nur beim Kirchgang zusammen mit Rösle, die wie die meisten einfachen Leute hier katholisch war, blieb sie von ihrer Herrschaft unbehelligt und natürlich nachts im Bett. Der freie Ausgang alle zwei Wochen sollte ihr erst nach erfolgreicher Probezeit gewährt werden. So hatte sie denn von Ravensburg in den ersten Wochen nicht allzu viel zu sehen bekommen.
    Das Haus der Schönfärbers in der Marktgasse stand auf halber Höhe zwischen Rathaus und Obertor, einem der vier Stadttore. Hier in der Oberstadt zogen sich die Gassen bucklig und krumm den Berg hinauf, mit ihrem neuen, stets blankgekehrten Kieselpflaster. Die Häuser waren aus Stein gemauert, stattlich und hoch und allesamt mit Dachrinnen und Blitzableitern ausgestattet – das war, wie Theres erfahren hatte, die neueste Erfindung, um in den Gebäuden vor Gewittern geschützt zu sein. Die Unterstadt, die sich jenseits des langgestreckten Marienplatzes ausbreitete, wirkte wesentlich ärmlicher, mit ihren geduckten Häuschen aus Fachwerk oder Holz. Bis auf die Judengasse zeigten sich die rechtwinkligen Straßen dort löchrig und ungepflastert. Gänse und Enten schnatterten herum, Dunglegen mitten auf der Gasse versperrten die Durchfahrt, und so stank es hier an heißen Tagen fast unerträglich, vor allem entlang der Bachgasse, wo die Gerber unter freiem Himmel ihre Häute und Felle trockneten.
    Die Stadt war rundum von einer einstmals imposanten Befestigung umgeben, doch mit dem Aufkommen neuartiger Feuerwaffen war diese nutzlos geworden. Die Gräben glichen stinkenden, sumpfigen Brachen, die äußeren Grabenstützmauern waren teils abgerutscht, teils von Bürgern zum Hausbau geplündert, die Wehrgänge eingestürzt oder von Seilern und Tuchern zum Seilspannen und Trocknen zweckentfremdet. An einigen Stellen der Unterstadt war die Mauer bereits bis auf Brusthöhe abgerissen und mit Rosensträuchern überwuchert. Nur die zahlreichen Türme der einstigen freien Reichsstadt ragten stolz wie ehedem in den Himmel.
    Dank Männern wie Konrad

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